Donnerstag, 29. November 2012

„Jeder trauert auf seine Weise“

Die katholische Zeitung Die Tagespost brachte am Samstag dem 17. Oktober 2009 ein Interview mit P. Sylvester Heereman LC

Die Legionäre Christi und ihr Gründer: Fragen an den Provinzial des Priesterordens für Mitteleuropa, Pater Sylvester Heereman LC

Über den Priesterorden der Legionäre Christi und die ihm angeschlossene Laienvereinigung Regnum Christi sind in den vergangenen Jahren wahre Hiobsbotschaften hereingebrochen. Erst die Aufforderung des Vatikans im Jahr 2006 an den damals 86-jährigen Gründer Pater Marcial Maciel Degollado, sich zu einem Leben des Gebets und der Buße zurückzuziehen. Die Glaubenskongregation hatte zuvor Anklagen geprüft, denen zufolge der gebürtige Mexikaner in der Vergangenheit Schutzbefohlene sexuell missbraucht haben soll. Dann, Pater Maciel war im Januar 2008 verstorben, bestätigt die Ordensleitung ein gutes Jahr später die Nachricht, dass ihr Gründer eine langjährige Beziehung zu einer Frau unterhalten hat, aus der auch eine Tochter hervorgegangen ist. Mittlerweile ist in mexikanischen Medien von weiteren Personen die Rede, die angeben, leibliche Kinder Pater Maciels zu sein. „Die Tagespost“ hat Pater Sylvester Heereman LC gefragt, wie sich die Ordensgemeinschaft mit dieser schwierigen Lage auseinandersetzt. Der 1974 in Bad Neustadt geborene Ordenspriester ist Territorialdirektor (Provinzial) der Legionäre Christi für Mitteleuropa mit Sitz in Düsseldorf. Nach Studien der Philosophie und Theologie wurde er 2006 vom Präfekten der Kongregation für die Ordensleute, Kardinal Franc Rodé CM, zum Priester geweiht. Die Fragen stellte Guido Horst.

Welche Hilfen bieten die Verantwortlichen der Legionäre Christi den Mitbrüdern und Mitgliedern von Regnum Christi an, um den Schock über die den Gründer betreffenden Enthüllungen aufzuarbeiten?

Mir scheint die wichtigste Hilfe, die wir als Institution dem Einzelnen bieten können, der Respekt zu sein. Jeder ist in den vergangenen Monaten anders mit dem Schock und der Enttäuschung umgegangen, jeder trauert auf seine Weise, jeder reagiert auf seine zutiefst persönliche Weise. Wenn man da Verarbeitungsprozesse oder offizielle Interpretationen auferlegen würde, wäre dem Einzelnen ein schlechter Dienst erwiesen. Aus persönlicher Erfahrung kann ich sagen, dass es vor allem Zeit, Gespräch und Gebet braucht. Die Oberen, angefangen von unserem Generaldirektor, haben vor allem das Einzelgespräch gesucht, sie haben auch Gesprächsmöglichkeiten mit den Hausgemeinschaften geschaffen. Sie haben Zeugnis davon gegeben, wie sie selber damit umgehen, ohne das aber als „den“ Königsweg der Verarbeitung darzustellen. Ich habe den Eindruck, dass trotz allen Schmerzes und aller Verwirrung die große Mehrheit der Mitbrüder auf einem sehr guten Weg und in innerem Frieden ist.

Anfang September haben Sie in einem ausführlichen offenen Brief an Mitglieder und Freunde zur aktuellen Lage der Kongregation Stellung genommen und den Prozess der Aufarbeitung beschrieben. Warum gab es einen solchen Brief für den deutschsprachigen Raum und einen ähnlichen in den Vereinigten Staaten, aber keinen in Mexiko oder Lateinamerika?

Ich würde dem keine zu große Bedeutung beimessen. Einerseits war mein Brief nur ein Element des Kommunikationsprozesses neben vielen anderen, wenn auch weniger öffentlichen, andererseits ist in der Zeit des Internets die Kommunikation weltweit. Der zweisprachig angebotene Brief aus den Vereinigten Staaten und der Brief unseres spanischen Territorialdirektors wurden sicher auch in Lateinamerika viel gelesen. Es stimmt allerdings, dass die Gemengelage in jeder Ordensprovinz unterschiedlich ist, auch was das kirchliche Umfeld, die Reaktion der Medien und die öffentliche Aufmerksamkeit anlangt. Zudem unterscheiden sich die Herangehensweise und die diesbezügliche Sensibilität. In den lateinamerikanischen Kulturen, die besonders vom Katholizismus geprägt sind, wird der Respekt für die eigenen Eltern – ganz unabhängig von deren Verhalten – sehr hochgehalten. Da ist es undenkbar, sich in der Öffentlichkeit mit den Fehltritten eines nahestehenden Menschen, geschweige denn des eigenen Vaters, auseinanderzusetzen. Das mag ein Element sein, das die Kommunikation beeinflusst.

Was ist unabhängig von der Person des Gründers der unveränderliche Geist der Legionäre Christi? Darf man das Charisma nennen oder wäre ein anderer Ausdruck geeigneter?

Sie haben vor einiger Zeit in der „Tagespost“ die Frage gestellt: „Kann ein fauler Baum gute Früchte tragen?“ Das war dieselbe Frage, nur pointierter formuliert. Viele Menschen haben sie mir auf die eine oder andere Weise gestellt. Auch ich habe mich intensiv damit auseinander gesetzt, weil es genau dieser Satz aus dem Evangelium war, mit dem ich mich immer wieder beruhigt habe, wenn von den Vorwürfen gegen Pater Maciel die Rede war. Auf Grund der persönlichen Erfahrung mit ihm und seinem Umfeld, aber vor allem wegen des Wissens um die vielen guten Früchte seines Werkes, konnte ich mir nicht so richtig vorstellen, dass etwas an den Vorwürfen dran sein könnte. Als sich dann herausstellte, dass das doch der Fall war, war das ein sehr herber Schlag. Dabei halfen mir die folgenden Überlegungen: Der Baum, der in der Kirche gute Früchte bringt, ist nicht eine Person, sondern ein mit einem Charisma beschenktes Werk. Dieser Baum bringt dann gute Früchte, wenn er in Jesus Christus verwurzelt ist. Pater Maciel, unser Gründer, ist nicht der Baum; er ist sozusagen Teil des Stammes. Ganz abgesehen davon steht es in der Kirche allein dem Papst zu, ein Ordenscharisma als authentische Gabe Gottes anzuerkennen und die Ordensregel zu genehmigen. Die Legionäre Christi haben unter mehreren Päpsten den gesamten Anerkennungsprozess durchlaufen (1948, 1965, 1983). Somit steht für mich nicht nur aus persönlicher Erfahrung und Überzeugung, sondern auch theologisch und kirchenrechtlich außer Zweifel, dass wir mit einem echten Charisma beschenkt sind, auch wenn der Übermittler desselben ein schwaches oder gar gebrochenes Instrument war.
Sie fragen auch nach dem unveränderlichen Geist der Legionäre Christi. Lassen Sie mich mit einem Bild aus dem Evangelium antworten. Ich habe diese Zeit als ein heftiges Unwetter erfahren. Wenn ich mich jetzt umschaue, während der Sturm und die Wasserfluten so langsam nachlassen, darf ich freudig feststellen, dass das Haus noch steht. Was auf dem Fels des Evangeliums und der Kirche gebaut war, hat standgehalten. Damit will ich allerdings nichts schönreden. Die Aufräum- und Reparaturarbeiten an unserem Haus werden uns gewiss noch eine Weile beschäftigen, und wir sind auch sehr, sehr dankbar für die derzeit laufende Apostolische Visitation, die sozusagen für den Heiligen Vater ein Expertengutachten erstellt, damit alle notwendigen Maßnahmen gesetzt werden können. 
  
Wie würden Sie die Spiritualität der Mitglieder von Regnum Christi und der Legionäre Christ umschreiben?

Im Mittelpunkt der Spiritualität stehen, wie es der Name schon sagt, „Christus und sein Reich“. Das Ziel seiner Herrschaft ist die Erlösung und das Leben in Fülle. Das Gesetz seines Reiches ist die Liebe. Die Art und Weise seiner Amtsführung ist Barmherzigkeit und Gnade. Jesus will und kann den Menschen erlösen, befreien und zur Fülle führen. Wo das passiert, verwirklicht sich sein Reich. Wir sehen uns als Bürger und Botschafter jenes Reiches, von dem Christus im Evangelium sagt: „Es ist schon mitten unter euch!“. Der für deutsche Ohren schwere Name „Legionäre Christi“ hat nur Sinn in Bezug auf die Person Christi und auf das Reich Christi, wie es das Neue Testament versteht. Unsere Spiritualität könnte man in dem Satz zusammenfassen: „Christus und seine Liebe erfahren, diese Liebe selber leben und dann weitergeben.“ Einige Stichworte, die im Geist und im Leben der Legionäre Christi und der Regnum Christi Mitglieder eine besonders wichtige Rolle spielen: lebendige Freundschaft mit Jesus Christus, den Nächsten im Kleinen und im Großen lieben, „gute Nachrede“, Treue zur Kirche, die Glaubensvertiefung und die Förderung der apostolischen Berufung der Laien, ganzheitliches christliches Leben, Gemeinschaft mit allen, die sich für Jesus Christus einsetzen. Das Charisma einer Gemeinschaft mit wenigen Worten zu erklären, ist ähnlich schwer wie die Beschreibung der Faszination, die ein Kunstwerk oder auch eine Person ausübt. Mich persönlich erfüllt eine erneuerte, hoffentlich gereifte und gereinigte Begeisterung und Entschlossenheit, dieses Charisma weiterzutragen und für viele Menschen fruchtbar zu machen.  
 
Warum lässt Gott es zu, dass junge Menschen, die sich ihm und der Kirche hingeben, so sehr über ihren geistlichen Vater enttäuscht werden, dass man von einem „Ärgernis für die Kirche“ sprechen muss.

Das würde ich auch gerne wissen… Und das sage ich ganz im Ernst. Denn das alles ist nicht wirklich zu verstehen. Was ich allerdings bezeugen kann, ist die Erfahrung, dass Gott tatsächlich Situationen, die in sich schlecht sind, fruchtbar und segensreich machen kann. Was schlecht war, ist schlecht und bleibt schlecht; was gut war, ist gut und bleibt gut. Aber mit Gottes Hilfe werden wir uns, wie der heilige Paulus im Römerbrief sagt, nicht vom Bösen besiegen lassen, sondern das Böse durch das Gute besiegen. In der konkreten Situation unserer Gemeinschaft sehe ich durchaus Früchte, die aus den Erkenntnissen über den Gründer bereits erwachsen sind und hoffentlich noch ausreifen: eine noch intensivere Ausrichtung auf Jesus Christus, Demut, Barmherzigkeit, enge Anbindung an den Nachfolger Petri. Für die Institution als solche sind die Erkenntnisse über den Gründer eine Chance, sich der eigenen Verantwortung zu stellen, aus der Vergangenheit zu lernen und sich so gereinigt und mit Vertrauen auf die Zukunft auszurichten. 

Wie geht ein junger Mensch mit dieser Enttäuschung um?

Jeder auf seine Weise. Darauf gibt es wohl keine allgemeingültige Antwort. Allerdings hatten in der Regel die jüngeren Generationen von Legionären Christi, zu denen ich ja auch gehöre, weniger mit der ganzen Sache zu kämpfen als die älteren Mitbrüder. Für die ist es noch einmal doppelt schwer gewesen, weil sie ja den Gründer gut kannten und von seinen besten Seiten erlebt hatten. Für die Jüngeren hat die Person des Gründers bei der Entscheidung für den Eintritt meist keine zentrale Rolle mehr gespielt. Pater Maciel hat die Legionäre Christi und das Regnum Christi gegründet und dafür bin ich ihm auch weiterhin dankbar. Offensichtlich kann er in seinen schweren Fehltritten, die in radikalem Gegensatz zu dem stehen, was Gott durch ihn wirken wollte, kein Vorbild für uns sein. Andererseits stehen wir als Mitbegründer vor der schwierigen Aufgabe, all das Gute, das wir von ihm als Gründer empfangen haben, zu unterscheiden und zu bewahren. Dabei zählen wir auch auf die Hilfe des Heiligen Stuhles.

Die Legionäre Christi sind als geniale „fund raiser“ bekannt. Was sagen Sie den Menschen, die ihnen auch im Vertrauen auf die Integrität des Gründers finanziell unter die Arme gegriffen haben?

Als stark wachsende junge Ordensgemeinschaft mit vielen Apostolatsprojekten sind wir auf Spenden angewiesen und scheuen uns nicht, darum zu bitten. Auch in Deutschland unterstützen uns viele Menschen, weil ihnen die Priesterausbildung und die Neuevangelisierung ein großes Anliegen sind. Daran hat sich nichts geändert, und ich kann versichern, dass alle Spenden im Sinne der Wohltäter verwendet worden sind und werden. Ich glaube, dass in den Ländern, in denen wir wirken, schon seit Jahren die Figur des Gründers für viele Spender nicht wirklich im Mittelpunkt stand. Natürlich waren manche sehr enttäuscht und haben genau so darunter gelitten wie wir selbst. Was sage ich denen? Ich kann nur um Verzeihung und Vertrauen bitten. Die allermeisten schenken auch beides.

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    Die katholische Zeitung Die Tagespost brachte am Samstag dem 17. Oktober 2009 ein Interview mit P. Sylvester Heereman LC

  • Kategorie News : Aktuelles aus anderen Bereichen
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