Donnerstag, 31. Oktober 2013

Bartholomäus

Ansprache von Benedikt XVI. am 04.10.2006

In der heutigen Katechese betrachten wir einen weiteren Jünger Jesu, den heiligen Bartolomäus. In den drei Apostellisten der Evangelien wird er immer unmittelbar nach Philippus genannt. Das ist vermutlich auch der Grund, warum die Tradition den Apostel Bartolomäus mit Natanaël identifiziert; denn dieser wurde, wie wir im Johannesevangelium hören, von Philippus zu Jesus geführt. Bartolomäus-Natanaël hatte zunächst große Vorbehalte gegen Jesus: Kann denn aus Nazaret etwas Gutes kommen? (vgl. Joh 1, 46). Er läßt sich aber doch einladen, ihn persönlich kennenzulernen. Im Gespräch darf er erkennen, daß Jesus von Grund auf mit ihm vertraut ist und Großes die Berufung zum Apostel für ihn bereithält. So überwindet Natanaël seine Vorurteile und bekennt: Rabbi, du bist der Sohn Gottes, du bist der König von Israel (Joh 1, 49).

In der Reihe der Apostel, die von Jesus während seines Erdenlebens berufen worden sind, ist es heute der Apostel Bartholomäus, der unsere Aufmerksamkeit auf sich zieht. In den antiken Verzeichnissen der Zwölf wird er immer vor Matthäus genannt, während der Name des Jüngers, der ihm selbst vorangeht, variiert und entweder Philippus (vgl. Mt 10,3; Mk 3,18; Lk 6,14) oder Thomas (vgl. Apg 1,13) sein kann. Sein Name ist eindeutig ein Patronymikum, da er einen ausdrücklichem Bezug auf den Namen des Vaters hat. Denn es handelt sich um einen Namen, der wahrscheinlich aramäischer Prägung ist: »bar Talmay«, was »Sohn des Talmay« bedeutet.

Über Bartholomäus haben wir keine besonderen Angaben; sein Name erscheint nämlich immer nur in den oben erwähnten Listen der Zwölf und steht also nie im Mittelpunkt irgendeines Berichtes. Er wird jedoch traditionsgemäß mit Natanaël identifiziert: ein Name, der »Gott hat gegeben« bedeutet. Dieser Natanaël stammte aus Kana (vgl. Joh 21,2); es ist also möglich, daß er Zeuge des großen »Zeichens« gewesen ist, das Jesus an jenem Ort vollbrachte (vgl. Joh 2,111). Die Gleichsetzung der beiden Personen hat ihren Grund wahrscheinlich darin, daß dieser Natanaël in der Berufungsszene, von der das Johannesevangelium berichtet, an die Seite des Philippus gestellt wird, das heißt an den Platz, den in den von den anderen Evangelien wiedergegebenen Apostellisten Bartholomäus einnimmt. Diesem Natanaël hatte Philippus mitgeteilt, daß sie den gefunden haben, »über den Mose im Gesetz und auch die Propheten geschrieben haben: Jesus aus Nazaret, den Sohn Josefs« (Joh 1,45). Wie wir wissen, hielt ihm Natanaël ein ziemlich schweres Vorurteil entgegen: »Aus Nazaret? Kann von dort etwas Gutes kommen?« (Joh 1,46a). Diese Art von Ablehnung ist in gewisser Weise für uns wichtig. Sie läßt uns nämlich sehen, daß den jüdischen Erwartungen nach der Messias nicht aus einem derart unbekannten Dorf stammen konnte, wie es eben Nazaret war (vgl. auch Joh 7,42). Zugleich macht sie jedoch auch die Freiheit Gottes deutlich, der uns in unseren Erwartungen überrascht und gerade dort zu finden ist, wo wir ihn nicht erwarten würden. Andererseits wissen wir, daß Jesus in Wirklichkeit nicht ausschließlich »aus Nazaret« war, sondern in Betlehem geboren wurde (vgl. Mt 2,1; Lk 2,4) und daß er letzten Endes vom Himmel kam, vom Vater, der im Himmel ist.

Die Geschichte von Natanaël gibt uns Anregung zu einer weiteren Überlegung: In unserer Beziehung zu Jesus dürfen wir uns nicht allein mit Worten zufriedengeben. In seiner Antwort richtet Philippus eine bedeutsame Einladung an Natanaël: »Komm und sieh!« (Joh 1,46b). Unsere Kenntnis von Jesus bedarf vor allem einer lebendigen Erfahrung: Das Zeugnis der anderen ist sicherlich wichtig, da ja in der Regel unser ganzes christliches Leben mit der Verkündigung beginnt, die durch einen oder mehrere Zeugen zu uns gelangt. Aber dann müssen wir es selbst sein, die persönlich in eine innige und tiefe Beziehung zu Jesus hineingenommen werden. In ähnlicher Weise wollten die Samariter direkt mit Jesus selbst sprechen, nachdem sie das Zeugnis ihrer Mitbürgerin gehört hatten, der Jesus am Jakobsbrunnen begegnet war, und nach diesem Gespräch sagten sie zu der Frau: »Nicht mehr aufgrund deiner Aussage glauben wir, sondern weil wir ihn selbst gehört haben und nun wissen: Er ist wirklich der Retter der Welt« (Joh 4,42).

Kehren wir zur Berufungsszene zurück, wo uns der Evangelist berichtet, daß Jesus, als er Natanaël näherkommen sieht, ausruft: »Da kommt ein echter Israelit, ein Mann ohne Falschheit« (Joh 1,47). Es handelt sich um ein Lob, das einen Psalm in Erinnerung ruft: »Wohl dem Menschen, dessen Herz keine Falschheit kennt« (Ps 32,2). Aber es weckt die Neugier Natanaëls, der erstaunt erwidert: »Woher kennst du mich?« (Joh 1,48a). Die Antwort Jesu ist nicht sofort verständlich. Er sagt: »Schon bevor dich Philippus rief, habe ich dich unter dem Feigenbaum gesehen« (Joh 1,48b). Wir wissen nicht, was unter diesem Feigenbaum geschehen war. Offensichtlich handelt es sich um einen entscheidenden Augenblick im Leben Natanaëls. Er fühlt sich von diesen Worten Jesu zutiefst berührt, er fühlt sich verstanden und begreift: Dieser Mann weiß alles über mich, er weiß und kennt den Weg des Lebens, diesem Mann kann ich mich wirklich anvertrauen. Und so antwortet er mit einem klaren und schönen Glaubensbekenntnis, wenn er sagt: »Rabbi, du bist der Sohn Gottes, du bist der König von Israel!« (Joh 1,49). In diesem Bekenntnis ist ein erster, wichtiger Schritt auf dem Weg der Treue zu Jesus gegeben. Die Worte Natanaëls werfen Licht auf einen doppelten, komplementären Aspekt der Identität Jesu: Er wird sowohl in seiner besonderen Beziehung zu Gott Vater erkannt, dessen eingeborener Sohn er ist, als auch in seiner Beziehung zum Volk Israel, zu dessen König er erklärt wird; dieser Titel ist dem erwarteten Messias zu eigen. Wir dürfen niemals weder das eine noch das andere dieser beiden Elemente aus den Augen verlieren, denn falls wir nur die himmlische Dimension Jesu verkünden, laufen wir Gefahr, aus ihm ein ätherisches und substanzloses Wesen zu machen; und wenn wir umgekehrt nur seinen konkreten Ort in der Geschichte anerkennen, vernachlässigen wir letztendlich die göttliche Dimension, die ihn eigentlich kennzeichnet.

Über die nachfolgende apostolische Tätigkeit des Bartholomäus-Natanaël haben wir keine genauen Angaben. Nach einer vom Historiker Eusebius im vierten Jahrhundert überlieferten Information soll ein gewisser Pantenus sogar in Indien Zeichen der Anwesenheit des Bartholomäus gefunden haben (vgl. Hist. eccl., V,10,3). In der späteren Überlieferung, seit dem Mittelalter, verbreitete sich die Erzählung von seinem Tod durch das Abziehen der Haut bei lebendigem Leib, die dann sehr populär wurde. Man denke an die berühmte Darstellung des Jüngsten Gerichts in der Sixtinischen Kapelle, in der Michelangelo den hl. Bartholomäus malte, der in der linken Hand die eigene Haut hält, auf der der Künstler sein Selbstbildnis hinterließ. Seine Reliquien werden hier in Rom in der ihm geweihten Kirche auf der Tiberinsel verehrt, wohin sie vom deutschen Kaiser Otto III. im Jahr 983 gebracht worden sein sollen. Abschließend können wir sagen, daß die Gestalt des hl. Bartholomäus trotz der wenigen Informationen, die sich auf ihn beziehen, dennoch vor uns steht, um uns zu sagen, daß die Treue zu Jesus auch ohne das Vollbringen sensationeller Werke gelebt und bezeugt werden kann. Außerordentlich ist und bleibt Jesus selbst, und jeder von uns ist dazu berufen, ihm sein Leben und seinen Tod zu weihen.

Additional Info

  • Untertitel:

    Ansprache von Benedikt XVI. am 04.10.2006

  • Datum: Nein
  • Druck / PDF: Ja

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