Freitag, 26. Juli 2013

Ist Jesus wahrer Mensch?

Eigenwillige Betrachtung über Christus in der Eucharistie

Ich war frustriert und saß launisch vor einem Kruzifix. „Warum machst du es mir eigentlich so schwer“, schleuderte ich Gott vorwurfsvoll und unzufrieden entgegen. „Ich will ja gut sein, beten, ich widme dir so viel Zeit, und du bist oft so weit weg von mir!“ Das ließ er sich offensichtlich nicht gefallen; in der Stille meines Innern vernahm ich seine – gütige, aber dennoch entschiedene – Antwort: „Weit weg? Ich weit weg von dir? Nicht ich bin weit von dir. Ist es nicht vielmehr so, dass du weit weg bist von mir?“

Das hatte gesessen. Ich dachte nach: Ja, es ist wahr. Immer, wenn ich ganz bei der Sache war, ließ sich Gott erfahren. War ich nur halb anwesend oder zerstreut, dann wurde mir der Umgang mit Gott langweilig, mühsam und blieb unbefriedigend.

So verhält es sich auch mit der Gegenwart des Herrn in der Eucharistie. Obwohl ich dem Dogma vertraue, dass Jesus Christus als „wahrer Gott und wahrer Mensch wirklich, wahrhaft und wesentlich“ in der Eucharistie da ist, finde ich es gelegentlich doch mühsam und manchmal sogar langweilig, bei ihm zu sein und zu beten. Aber auch das liegt an mir und nicht an ihm.

Mir hilft es, zu versuchen, die Wahrheit der Gegenwart Christi in der Eucharistie immer wieder einmal („untheologisch“) ganz schlicht und fast kindlich aus der Sicht Jesu zu betrachten: Jesus ist in der Eucharistie wahrhaftig gegenwärtig, so wie er ist: wahrer Gott und wahrer Mensch. Ein Mensch ohne Sünde, und doch als Mensch, ein Mensch wie Du und ich… „sein Leben war das eines Menschen“ (Phil 2,7).

Wenn ich mir vorstelle, wie das wohl ist, Jesus, der im Tabernakel immer für uns da ist, und wie vielleicht der ein oder andere kommt, die Tür zur Kirche öffnet, hineingeht, sich umschaut, vielleicht einen Moment verweilt, oder nur einen Blick hineinwirft und wieder geht, und Jesus immer dort ist und auf uns wartet, dann kommt mir das manchmal schon ein wenig sonderbar vor. Ich möchte Sie einmal zu einem Experiment einladen: Setzen wir uns einmal in Gedanken zu Jesus in der Eucharistie, im Tabernakel. Stellen wir uns vor, wie das wäre, wenn wir dort Tag und Nacht wie er gegenwärtig sein würden: Jesus ist dort und wartet im Tabernakel bis jemand kommt. Er ist da, er ist lebendig, er, die Liebe in Person, der jeden Menschen liebt und nur wartet, bis er jemanden beschenken kann. Die meisten Leute aber gehen an der Kirche vorbei, ohne überhaupt zu wissen, dass da einer wartet. Wie schade muss das für ihn sein. Diese Leute haben entweder nie davon gehört, dass Gott sie gern hat oder sie können sich nicht vorstellen, dass er sie persönlich meint. Was würden Sie fühlen, wenn Sie jemanden zu sich nach Hause einladen, und der weiß gar nichts davon und kommt nicht. Schade, nicht wahr?

Dann gibt es andere, die kommen und „erledigen“ allerlei in der Kirche: Blumen erneuern, putzen, Kerzen auswechseln, Orgel üben, Plakate aufhängen, Weihwasser nachfüllen, ja sogar eine Kerze anzünden oder hl. Messe feiern.

Finden sie alle Jesus im Tabernakel? Machen wir es nochmals bildlich, kindlich, aber echt: Er ruft, lädt ein, will trösten, schenken, lächelt; manche aber „verbringen viel Zeit mit dem Weinberg des Herrn, aber wenig Zeit mit dem Herrn des Weinbergs.“ Seine Liebe kommt nicht bei allen an – das Martha-Syndrom (vgl. Lk 10,38-42). Stellen Sie sich vor, was Sie fühlen würden: Da kommen Menschen zu Ihnen nach Hause, aber anstatt sich mit Ihnen zu unterhalten, putzen sie das Wohnzimmer, gehen Einkaufen, reparieren die Spüle. Und Sie? Sie werden vergessen. Schade, nicht wahr?

Dann gibt es die (zu denen muss ich mich leider auch immer wieder zählen), die glauben an Jesus in der Eucharistie, die kommen auch hin und wieder, um bei ihm zu sein, ihn anzubeten und sich von ihm beschenken zu lassen, aber ihr Glaube ist schwach und zweifelt. „Warum machst Du es mir so schwer und bist so weit weg“ ist dann ein innerer Vorwurf, der Gott entgegen hallt. In Wirklichkeit ist es unser Herz, das weit weg ist. Wir nehmen nicht wahr, dass der Herr ganz nahe ist, sind zu beschäftigt mit unseren eigenen Gedanken, Zerstreuungen, Gefühlen oder Problemen. Wir sind körperlich da, gedanklich, seelisch aber woanders. Stellen Sie sich vor: Jemand kommt zu Ihnen, setzt sich neben Sie, Sie aber bemerken, dass diese Person mit ihren Gedanken ganz woanders ist. Schade, nicht wahr?

Schließlich gibt es jene wie den Bauern Ludwig Chaffangeon in der Kirche des berühmten Pfarrers von Ars. Der einfache Bauer saß jeden Morgen, bevor er aufs Feld ging, einige Zeit in einer Kirchenbank und blickte auf den Tabernakel. Er bewegte seine Lippen nicht, sprach nicht, las nichts. Ein anderer Bauer suchte ihn und fand ihn in der Kirche. Er fragte ihn: „Ludwig, was machst du denn so lange in der Kirche?“ Schlicht und voller Glauben antwortete er: „Ich schaue den lieben Gott an und der liebe Gott schaut mich an.“ Wie würden Sie sich fühlen, wenn jemand zu Ihnen kommt und dann nur für Sie da ist, um Sie froh zu machen? Herrlich, nicht wahr?

Jesus schaut uns an, wenn wir in die Kirche eintreten; er lächelt, weil er sich freut, dass wir kommen. Er hört genau zu, um zu erfahren, was wir ihm sagen wollen. Er hat wichtige Gaben für uns und unser Leben, die er uns schenken möchte. Er lädt uns ein, seine Freunde zu sein. Er ist ein wahrer Mensch – dort in der Eucharistie. Und wenn wir ihn am Sonntag in der hl. Messe empfangen, dann empfangen wir den lebendigen Jesus, der selbst das Leben ist, der uns lebendig macht. Er ist ja auferstanden und lebt. Christus in der Eucharistie lebt, mitten unter uns.

Was mir hilft, diese seine lebendige Gegenwart besser wahrzunehmen, ist eine kurze, innere Vorbereitung, wenn ich in eine Kirche eintrete oder Gottesdienst feiere. „Jesus, ich glaube, dass Du hier bist – in der Hostie. Du siehst mich, Du hörst mir zu; Du bist mein Freund und mein Gott. Jesus, hilf mir, gut zu beten und lass mich hören, was Du mir sagen willst. Danke, Jesus, dass Du da bist. Ich liebe Dich und freue mich, dass Du mich liebst.“ Dann bekommt das Beten immer wieder eine ganz neue Tiefe.

So, jetzt gehe ich. Denn in der Kapelle wartet Jesus. Genug über ihn geschrieben; jetzt werde ich ihn besuchen. Er wartet und lächelt.

 


Dies ist das sechzehnte Kapitel aus dem Buch "Einmal Gott und zurück" von P. Klaus Einsle. Dieses Buch basiert auf einer Serie von Artikeln in unserem L-Magazin.

Additional Info

  • Untertitel:

    Eigenwillige Betrachtung über Christus in der Eucharistie

  • Datum: Nein
  • Druck / PDF: Ja

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