Donnerstag, 31. Oktober 2013

Paulus - Das neue Leben in Christus

Ansprache von Benedikt XVI. am 08.11.2006

Das Thema der letzten Katechese war die Bekehrung des Apostels Paulus. Auf der Straße nach Damaskus begegnet Saulus dem auferstandenen Christus und dieses Ereignis verwandelt sein Leben. Das neue Leben in Christus ist ein Leitgedanke der Paulus-Briefe. Heute wollen wir zwei Aspekte näher betrachten: den Glauben als Grundlage der neuen Existenz und die persönliche Teilhabe am Leben Jesu. Nur durch den Glauben an Jesus Christus werden wir gerecht, sagt uns Paulus (vgl. Gal 2, 16). Von uns aus haben wir keinen Anspruch auf die Gnade Gottes. Denn vor dem Kreuz, dem Zeichen der selbstlosen Hingabe Christi, kann niemand selbstgerecht sein. Wer sich rühmen will, der rühme sich des Herrn (1 Kor 1, 31). Hinzu kommt das zweite Moment, das In-Christus-Sein. Diese mystische Komponente der Teilhabe bedeutet ein Sichhineinversetzen von uns in Ihn und von Ihm in uns. Beide Aspekte beinhalten auch einen Appell: als Glaubende in einer beständigen Haltung der Demut und des Gebets Christus nachzufolgen wie auch aus der Gegenwart Christi in uns tiefes Vertrauen und Freude zu schöpfen.

 In der letzten Katechese vor vierzehn Tagen habe ich versucht, die wesentlichen Züge der Biographie des Apostels Paulus nachzuzeichnen. Wir haben gesehen, wie die Begegnung mit Christus auf der Straße nach Damaskus sein Leben buchstäblich »revolutioniert« hat. Christus wurde der Sinn seines Daseins und der tiefe Beweggrund für seine ganze apostolische Arbeit. Nach dem Namen Gottes, der über 500mal vorkommt, wird in seinen Briefen am häufigsten der Name Christi genannt (380mal). Es ist daher wichtig, daß wir uns bewußt werden, wie sehr Jesus Christus das Leben eines Menschen und auch unser eigenes Leben prägen kann. Tatsächlich ist Jesus Christus der Höhepunkt der Heilsgeschichte und daher der wirklich entscheidende Punkt auch im Dialog mit den anderen Religionen.

 Im Hinblick auf Paulus könnten wir die grundlegende Frage folgendermaßen formulieren: Wie vollzieht sich die Begegnung eines Menschen mit Christus? Und worin besteht die daraus erwachsende Beziehung? In der Antwort, die Paulus gibt, lassen sich zwei verschiedene Momente wahrnehmen. An erster Stelle hilft uns Paulus, den absolut grundlegenden und unersetzlichen Wert des Glaubens zu verstehen. So schreibt er im Brief an die Römer: »Denn wir sind der Überzeugung, daß der Mensch gerecht wird durch Glauben, unabhängig von Werken des Gesetzes« (3,28). Und ebenso auch im Brief an die Galater: »Weil wir aber erkannt haben, daß der Mensch nicht durch Werke des Gesetzes gerecht wird, sondern durch den Glauben an Jesus Christus, sind auch wir dazu gekommen, an Christus Jesus zu glauben, damit wir gerecht werden durch den Glauben an Christus, und nicht durch Werke des Gesetzes; denn durch Werke des Gesetzes wird niemand gerecht« (2,16). »Gerecht werden« heißt »gerecht gemacht werden«, also angenommen zu sein von der barmherzigen Gerechtigkeit Gottes, mit ihm in Gemeinschaft zu treten und infolgedessen eine viel authentischere Beziehung zu allen unseren Brüdern herstellen zu können, auf der Grundlage einer vollkommenen Vergebung unserer Sünden. Paulus sagt also in aller Deutlichkeit, daß dieser Daseinszustand nicht von etwaigen guten Werken unsererseits abhängt, sondern rein von der Gnade Gottes: »Ohne es verdient zu haben, werden sie gerecht, dank seiner Gnade, durch die Erlösung in Christus Jesus« (Röm 3,24).

Mit diesen Worten bringt der hl. Paulus den grundlegenden Inhalt seiner Bekehrung zum Ausdruck, die neue Ausrichtung seines Lebens, die seiner Begegnung mit dem auferstandenen Christus entspringt. Vor seiner Bekehrung war Paulus keineswegs ein Mensch, der Gott und seinem Gesetz fernstand. Im Gegenteil, er war ein strenggläubiger Jude, treu gegenüber den Vorschriften bis hin zum Fanatismus. Im Licht der Begegnung mit Christus verstand er jedoch, daß er auf diese Weise versucht hatte, sich selbst und seine eigene Gerechtigkeit aufzubauen, und daß er mit dieser ganzen Gerechtigkeit nur für sich selbst gelebt hatte. Er verstand, daß eine neue Ausrichtung seines Lebens absolut notwendig war. Und diese neue Ausrichtung finden wir in seinen Worten ausgedrückt: »Soweit ich aber jetzt noch in dieser Welt lebe, lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich für mich hingegeben hat« (Gal 2,20). Paulus lebt also nicht mehr für sich selbst und für seine Gerechtigkeit. Er lebt aus Christus und mit Christus, indem er sich selbst hingibt und nicht mehr sich selbst sucht und die eigene Person aufbaut. Das ist die neue Gerechtigkeit, die neue Ausrichtung, die uns vom Herrn und durch den Glauben geschenkt wird. Vor dem Kreuz Christi, dem höchsten Ausdruck seiner Selbsthingabe, gibt es niemanden, der sich selbst und seine eigene, selbstgemachte und für sich selbst geschaffene Gerechtigkeit rühmen könnte! An anderer Stelle erläutert Paulus diesen Gedanken, indem er in Anlehnung an Jeremia schreibt: »Wer sich also rühmen will, der rühme sich des Herrn« (1 Kor 1,31; vgl. Jer 9,22f.); oder: »Ich aber will mich allein des Kreuzes Jesu Christi, unseres Herrn, rühmen, durch das mir die Welt gekreuzigt ist und ich der Welt« (Gal 6,14).

Beim Nachdenken darüber, was Rechtfertigung Rechtfertigung nicht durch die Werke, sondern durch den Glauben bedeutet, sind wir somit beim zweiten Moment angelangt, das die vom hl. Paulus in seinem eigenen Leben beschriebene christliche Identität definiert. Die christliche Identität setzt sich aus zwei Elementen zusammen: sich nicht selbst zu suchen, sondern sich von Christus zu empfangen und sich mit Christus hinzugeben und so persönlich am Geschehen Christi teilzunehmen, bis hin zum Versenken in ihn und zur Teilhabe an seinem Tod ebenso wie an seinem Leben. Eben das schreibt Paulus im Brief an die Römer: Wir sind »auf seinen Tod getauft worden, wir wurden mit ihm begraben, mit ihm vereinigt So sollt auch ihr euch als Menschen begreifen, die für die Sünde tot sind, aber für Gott leben in Christus Jesus« (Röm 6,3.4.5.11). Gerade dieser letzte Satz ist bezeichnend: Für Paulus ist es nämlich nicht genug zu sagen, daß die Christen Getaufte oder Gläubige sind; für ihn ist es ebenso wichtig zu sagen, daß sie »in Christus Jesus« sind (vgl. auch Röm 8,1.2.39; 12,5; 16,3.7.10; 1 Kor 1,2.3 usw.). An anderen Stellen kehrt er die Worte um und schreibt: »Christus ist in uns/euch« (vgl. Röm 8,10; 2 Kor 13,5) oder »in mir« (Gal 2,20). Dieses gegenseitige Durchdrungensein von Christus und dem Christen, das für die Lehre des Paulus charakteristisch ist, vervollständigt das, was er über den Glauben sagt. Obwohl uns nämlich der Glaube tief mit Christus vereint, läßt er den Unterschied zwischen ihm und uns deutlich hervortreten. Aber nach Paulus gibt es im Leben des Christen auch ein Element, das wir »mystisch« nennen können, da es eine Identifizierung mit Christus unsererseits und mit uns von seiten Christi einschließt. In diesem Sinn geht der Apostel sogar soweit, unsere Leiden als »Leiden Christi«, die uns »zuteil geworden sind« (2 Kor 1,5) zu bezeichnen, denn »wohin wir auch kommen, immer tragen wir das Todesleiden Jesu an unserem Leib, damit auch das Leben Jesu an unserem Leib sichtbar wird« (2 Kor 4,10).

All das müssen wir in unser Alltagsleben hineintragen, indem wir dem Beispiel des Paulus folgen, der immer mit dieser großen geistlichen Weite gelebt hat. Einerseits muß uns der Glaube in einer ständigen Haltung der Demut, ja der Anbetung und des Lobes gegenüber Gott erhalten. Was wir als Christen sind, verdanken wir nämlich nur ihm und seiner Gnade. Da nichts und niemand seinen Platz einnehmen kann, ist es daher notwendig, daß wir nichts anderem und niemandem anderen die Verehrung entgegenbringen, die wir ihm entgegenbringen. Kein Götze darf unser geistliches Universum verunreinigen, denn sonst würden wir, anstatt die erworbene Freiheit zu genießen, in eine Form entwürdigender Knechtschaft zurückfallen. Andererseits muß unsere radikale Zugehörigkeit zu Christus und die Tatsache, daß »wir in ihm sind«, uns eine Haltung vollkommenen Vertrauens und unermeßlicher Freude einflößen. Letztlich müssen wir nämlich mit dem hl. Paulus ausrufen: »Ist Gott für uns, wer ist dann gegen uns?« (Röm 8,31). Und die Antwort darauf ist: Nichts und niemand kann »uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn« (Röm 8,39). Unser christliches Leben ist also auf den stärksten und sichersten Felsen gegründet, den man sich vorstellen kann. Und aus ihm beziehen wir unsere ganze Kraft, genau wie der Apostel schreibt: »Alles vermag ich durch ihn, der mir Kraft gibt« (Phil 4,13).

Gestützt von diesen großen Empfindungen, die Paulus uns mitteilt, nehmen wir also unser Leben in Angriff, mit seinen Freuden und seinen Leiden. Wenn wir diese Empfindungen selbst erfahren, werden wir verstehen können, wie wahr das ist, was der Apostel schreibt: »Ich weiß, wem ich Glauben geschenkt habe, und ich bin überzeugt, daß er die Macht hat, das mir anvertraute Gut bis zu jenem Tag zu bewahren« (2 Tim 1,12), das heißt bis zum Tag unserer endgültigen Begegnung mit Christus, dem Richter, dem Erlöser der Welt und unserem Erlöser.

Additional Info

  • Untertitel:

    Ansprache von Benedikt XVI. am 08.11.2006

  • Datum: Nein
  • Druck / PDF: Ja

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