Tihusuco, Chun-Yah und Sacalaca - In den letzten Tagen waren wir in drei Mayadörfern: Tihusuco, Chun-Yah und Sacalaca. Die wenigsten Patienten sprachen Spanisch. Viele ältere Frauen trugen die traditionellen weißen, bestickten Mayakleider. Manche von ihnen wurden von ihren Töchtern begleitet, die Spanisch gelernt hatten und für sie übersetzen konnten. Andere wiederum zeigten nur auf die Körperteile, die ihnen weh taten. In Sacalaca sprach ein älterer Mann eine der Krankenschwestern auf Maya an, redete und gestikulierte. Er verstand nicht, daß sie seine Sprache nicht sprach. Wir fragten unter den Patienten nach, ob jemand da ist, der Spanisch und Maya beherrscht. Es meldete sich nur ein vierjähriges Mädchen.
In Chun-Yah arbeiteten wir in den Räumen einer Primarschule. An den Wänden hingen große Tafeln: die Zahlen auf Maya und Spanisch, wichtige Sätze in beiden Sprachen. Um mit den Patienten Gespräche führen zu können, benötigten wir die Hilfe von Übersetzern, die die Sprache der Maya verstanden. Einer von ihnen war der 18-jährige Oberschüler Alfredo, der uns bei unserem Einsatz in Chun-Yah unterstützte. Er stammt aus einer Maya-Familie und hat sechs Geschwister. In der Familie wird Maya gesprochen, erst in der Schule lernte Alfredo Spanisch. Die Kinder hier bekommen alle Spanischunterricht. In den ersten beiden Schulklassen werden ihnen elementare Kenntnisse vermittelt, von der dritten Klasse an ist die Unterrichtssprache in allen Fächern Spanisch.
Alfredo ist froh darüber, daß er Spanisch gelernt hat. Er ist wißbegierig und sehnt sich nach Bildung. Ohne Spanischkenntnisse blieben ihm alle Möglichkeiten verschlossen, die außerhalb der Welt seines Heimatdorfes liegen. Wie seine Eltern, heute Mitte 30, könnte er sonst noch nicht einmal alleine zum Arzt gehen. Bildung ist der Schlüssel zu einem besseren Leben – das gilt auch für die Maya.
In Chun-Yah beobachten wir ein kleines Mädchen, höchstens drei Jahre alt. Während ihre Mutter von einem Arzt untersucht wird, hält sie ihren kleinen Bruder fest und tröstet ihn. Später erklärt sie ihm, wie man Seifenblasen macht: Sie hat es sofort verstanden. Das Mädchen wirkt intelligent und lebhaft. Was wird später aus ihr werden?
Viele Menschen in den Maya-Dörfern wirken lethargisch und deprimiert. Sie leben in ärmsten Verhältnissen, in Holzhütten ohne Strom und fließendes Wasser. Viele halten Nutztiere: Schweine und Hühner laufen über die Straßen, abgemagerte, kranke Hunde streunen herum, in manchen Gärten sind Pferde mit viel zu kurzem Seil an einen Baum angebunden.
Viele Männer verlassen ihre Dörfer, um in Hotels und Restaurants in Playa del Carmen oder auf Cozumel mit sehr harter körperlicher Arbeit ein wenig Geld zu verdienen. Sie empfinden es als Aufstieg.
Das größte Problem der Maya ist die fehlende Bildung. Sie wissen nicht, daß sie die Früchte, die in ihrem Garten wachsen, Mangos und Bananen, essen können. Sie wissen nicht, wie man sich die Zähne putzt. Daß es gut für ihre Haut ist, im Meer zu baden. Ein vielleicht 18jähriger Junge, der in einem Abarrotes, einem kleinen Lebensmittelgeschäft, Cola verkauft, braucht einen Taschenrechner, um umständlich auszurechnen, wieviel 3x8 sind.
Die Maya sind die Erben einer großen Kultur – doch es wäre nostalgisch und sentimental, sie nur als solche zu betrachten: Denn diese Kultur ist untergegangen, und die Maya selbst wissen nicht mehr um die Größe der Monumente, die die europäischen und amerikanischen Touristen heute bewundern. Sie haben ihr traditionelles Wissen über Ernährung und Medizin verloren. Die moderne Welt hat längst in ihren Dörfern Einzug gehalten: in Form von Satellitenschüsseln, Alkohol und Softgetränken. Die Maya sind gestrandet zwischen zwei Kulturen, und nur Bildung kann sie befreien.
Wir können den Menschen hier medizinische Hilfe bieten, um bessere Bildungsmöglichkeiten bemühen sich einige Initiativen vor Ort. In Tihusuco haben wir etwa 400 Menschen behandelt, viele mit Gelenkproblemen. Einen Notfall behandelten wir in Chun-Yah: Ein Mann hatte Gas eingeatmet und war von einem Gerüst gestürzt. Zwei Jungen mit Muskeldystrophie, die nicht richtig gehen konnten, konnten wir an eine Spezialklinik vermitteln.
Andrea Neuhaus
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