Seit über zehn Jahren helfen Ärztinnen und Ärzte, Krankenschwestern, Freiwillige und Ordensleute der Legionäre Christi aus Deutschland mit dem Projekt „Medical Mission Network“ auf der Halbinsel Yucatán den Ärmsten Armen. Das Projekt geht auf eine Idee von Pater Bennet Tierney LC zurück, der dieses Apostolat des Regnum Christi leitet.
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Sie sind im Februar nach Quintana Roo gereist und haben dort zwei Wochen lang die Ärzte von Medical Mission Network begleitet. Sonst fliegen Sie um diese Zeit immer mit einem deutschen Team nach Mexiko, um einen Einsatz gemeinsam mit den mexikanischen Ärzte durchzuführen. Wie haben Sie diesmal die Situation empfunden?
P. Bennet: Natürlich war ich etwas wehmütig, als ich an unseren letzten großen Einsatz im Februar 2020 zurückgedacht habe. Es ist das erste Mal seit mehr als zehn Jahren, dass wir den Einsatz ausfallen lassen mussten. Wir hätten zwar viele Interessenten gehabt, die gerne so bald wie möglich mitkommen würden, aber wegen der Corona-Krise ist das im Moment nicht möglich. Deshalb bin ich allein geflogen und habe Zeit mit unserem mexikanischen Team verbracht. Was ich dort erlebt habe, hat mich aber sehr hoffnungsfroh und zuversichtlich gestimmt.
Das mexikanische Team – das sind Ärzte, die festangestellt für Medical Mission Network in Mexiko arbeiten?
P. Bennet: Ja, mittlerweile haben wir sieben festangestellte Ärzte. Außerdem beschäftigen wir Ernährungsberater und Mitarbeiter für Organisation, Verwaltung und Sicherheit. Die Arbeit war diesmal natürlich ganz anders, als wir es von unseren bisherigen Einsätzen gewohnt waren. Wir waren zwar in den Dörfern, in denen wir immer arbeiten, haben aber nur chronisch kranke Patienten, die wir schon kannten, und schwangere Frauen betreut. Sonst kommt oft das ganze Dorf, diesmal nur diese beschränkte Gruppe von 70 bis 80 Leuten pro Dorf. Oft haben wir an einem Tag sogar zwei Dörfer besucht. Für uns war es immer sehr wichtig, engen Kontakt mit der Maya-Bevölkerung aufzubauen, früher haben die Ärzte oft auch Hausbesuche gemacht. Das war wegen Corona nicht möglich. Natürlich halten wir als Organisation alle Regeln, die die Behörden vorgeben, penibel ein. Wir dürfen auf keinen Fall riskieren, dass unsere Arbeit in den Dörfern eingeschränkt wird. Denn die Menschen in den Dörfern bekommen sonst kaum medizinische Betreuung. Für die Ärzte ist das eine große Herausforderung, die Arbeit bei tropischen Temperaturen in Schutzkleidung ist extrem anstrengend.
Wie reagieren denn die Leute in den Dörfern, wenn die Ärzte dort in voller Montur, also weißen Schutzanzügen mit Kapuzen, Mundschutz und Brille, auftauchen?
P. Bennet: Am Anfang haben sie es als beängstigend empfunden. Sowas haben sie vorher nie gesehen, sie waren erschrocken, regelrecht eingeschüchtert. Es ist natürlich schwer, eine persönliche Beziehung zu den Patienten aufzubauen, wenn sie die Gesichter und die Mimik, das Lächeln, nicht sehen können. Die chronisch kranken Patienten kennen zwar die Ärzte, wissen aber zuerst gar nicht, wer da eigentlich vor ihnen steht. Es hat immer ein bisschen gedauert, bis die Patienten aufgetaut waren.
Wie hat sich denn der Alltag in den Dörfern geändert? Die Maya arbeiten ja oft in den Touristenzentren Cancún, Tulum oder Playa del Carmen. Wahrscheinlich haben viele wegen der Schließungen von Hotels und Restaurants ihre Jobs verloren? Haben die Leute davon erzählt?
P. Bennet: Nun, normalerweise habe ich sehr viel Kontakt zu den Leuten. Wenn ich in den Dörfern bin, gehe ich sonst von Haus zu Haus, da bekomme ich viel mit. Aber diesmal war es anders, ich konnte nicht mit so vielen Leuten reden, der Kontakt war beschränkt. Wir mussten immer alle an unseren Arbeitsplätzen bleiben. Diesmal konnte ich in den Orten noch nicht mal die Heilige Messe feiern. In den Gesprächen, die ich dennoch führen konnte, erfuhr ich, dass viele arbeitslos geworden sind. Sie bleiben nun zuhause oder arbeiten in den Feldern, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Ihre wirtschaftliche Situation hat sich dramatisch verschlechtert. Außerdem gibt es in den Dörfern zurzeit keinen Schulunterricht. Das bedeutet, dass die Kinder tagein, tagaus zuhause sind. Sie leiden natürlich sehr darunter. Ihre Bildungschancen sind ja ohnehin schlecht und haben sich nun noch auf fatale Weise verringert. Hinzu kommt, dass die Leute wegen Corona oft sehr verängstigt sind …
Wie gut wissen die Leute in den Dörfern denn über das Corona-Virus und mögliche Krankheitssymptome Bescheid?
P. Bennet: Es gibt viel Fehlinformation, Aufklärung ist für uns eine wichtige Aufgabe. Unsere Ärzte führen auch Corona-Tests durch. Leute, die ein positives Ergebnis haben, reagieren oft zutiefst schockiert, sind völlig außer sich und weinen, weil sie denken, ihr Leben wäre nun vorbei. Und das selbst dann, wenn sie keine Krankheitssymptome haben. Da besteht dann sehr viel Gesprächsbedarf. Natürlich gab es in den Dörfern, die wir betreuen, auch Erkrankte mit schweren Krankheitsverläufen. Es ist in jedem Fall wichtig, den Patienten mehr sachliche Informationen zu geben und Hilfe anzubieten. Sie müssen wissen, dass unsere Ärzte sie engmaschig betreuen und für sie da sind. In dieser Situation ist es von Vorteil, dass wir nun in vielen Dörfern festangestellte Mitarbeiter haben.
Das ist ja eine neue Entwicklung. Wie kam es dazu?
P. Bennet: Unsere Patienten wissen oft sehr wenig über gesunde Ernährung, das haben wir immer wieder festgestellt. Wir haben deshalb angefangen, einige Frauen aus den Dörfern auszubilden, sodass sie quasi als Ernährungsberaterinnen fungieren können. Sie haben in mehreren Kursen ein sehr gutes und solides Wissen erwerben können. Sie beraten vor allem Mütter über die Ernährung von Kindern, erstellen Ernährungspläne und kontrollieren auch das Gewicht der Kinder. Das funktioniert sehr gut, weil sie nahe an den Leuten dran sind. Auf diese Weise konnten wir also einige Arbeitsplätze in den Dörfern schaffen. Dann war es fast schon der nächste logische Schritt, die neuen Mitarbeiterinnen auch stärker in die Organisation unserer Einsätze einzubeziehen. Sie bilden nun die Schnittstelle zwischen den Dorfbewohnern und dem Ärzteteam. Nun sind sie auch an der Planung der Einsätze beteiligt, organisieren die Räume und übernehmen noch einige andere Aufgaben. Das hat für uns den Vorteil, dass wir nun nicht mehr darauf angewiesen sind, mit den lokalen Gesundheitszentren und anderen Behörden zusammenzuarbeiten. Diese Kooperationen bestehen zwar weiterhin, aber wir sind dadurch unabhängiger und flexibler geworden. Das war für uns ein großer Schritt nach vorne. Und – um noch mal auf den Anfang des Gesprächs zurückzukommen: Gerade das hat mich sehr zuversichtlich und hoffnungsfroh gestimmt. Denn auch in diesen schwierigen Zeiten ist Medical Mission Network weiter gewachsen.
Zum Stichwort schwierige Zeiten: Wann werden wieder Einsätze mit einem deutschen Team möglich sein?
P. Bennet: Ich hoffe sehr auf Oktober. Wir können im Moment nicht über Monate im Voraus planen, aber selbst wenn wir kurzfristig entscheiden müssen, werden wir genug Teilnehmer finden. Im Juli fliege ich noch einmal allein nach Mexiko, dort organisieren wir einen Einsatz in den Armenvierteln der Großstadt Monterrey. Zu dieser Zeit wird es dort extrem heiß sein, und dann noch die Schutzkleidung – das wird ziemlich anstrengend.
Was passiert denn bei Medical Mission Network in Deutschland? Die Aufgabe, Einsätze zu planen, fällt im Moment ja weg …
P. Bennet: Und trotzdem ist diese Zeit für uns eine große Chance. Letztes Jahr haben wir unseren eigenen Verein gegründet, Medical Mission Network e. V., und da ist auf der organisatorischen Ebene sehr viel geschehen. Wir konnten ein Team in Deutschland aufbauen, unsere Arbeit hier neu strukturieren und neue ehrenamtliche Mitarbeiter gewinnen. Dass keine Einsätze stattfanden, bedeutete für uns nicht Rückschritt oder Stillstand, sondern wir sind weiter vorangekommen. Wenn die Zeiten sich wieder ändern, können wir sehr flexibel reagieren und schnell wieder Einsätze durchführen.
Das Interview mit P. Bennet Tierney LC führte Dr. Andrea Neuhaus.