Montag, 28. Oktober 2024

Der Christ lebt, um zu dienen

In seinem neuesten Text fordert uns P. George Elsbett LC auf, Dienst neu zu denken – und was es heißt, authentisch Christ und Christin zu sein

Manchmal hören wir etwas so oft, dass wir es nicht mehr hören. In der aktuellen Predigtserie im Zentrum Johannes Paul II. reflektieren wir über Grundlegendes – was es heißt, Christ zu sein. Nicht einfach der persönliche Glaube, sondern der gemeinschaftliche Vollzug. Nicht einfach „ich glaube“, sondern „wir glauben“. Nicht einfach „Mein Vater“, sondern „Vater unser“. 

Vor kurzem durfte ich mit vielen über eine Aussage reflektieren. Eine Aussage, die wir so oft gehört haben, dass wir Gefahr laufen, sie eben nicht mehr zu hören, deren Sprengkraft nicht mehr wahrzunehmen: „Ich bin nicht gekommen, um mir dienen zu lassen, sondern um zu dienen.“ 

Eine Gosse irgendwo in einem indischen Elendsviertel. Eine Journalistin begleitet Mutter Teresa, als sie einen Sterbenden dort herauszog. Er verfaulte am lebendigen Leib. Der Gestank war fast unerträglich. Die Journalistin rief Mutter Teresa zu: „Das würde ich nicht für eine Million Dollar tun.“ Sie antwortete: „Ich auch nicht.“ 

Ich möchte uns herausfordern, Dienst neu zu denken. „Ich bin nicht gekommen, um mir dienen zu lassen, sondern um zu dienen und mein Leben hinzugeben.“ (vgl. Mt 20,28) Das will sagen: Das Lebensziel von Jesus bestand nicht darin, sich selbst zu verwirklichen oder sein Wohlbefinden in den Mittelpunkt zu stellen. Wo die anderen Evangelien über die erste Messe berichten – also über den Moment, wo Jesus Brot nimmt und sagt: „Mein Leib“ und Wein nimmt und sagt: „Mein Blut. Für euch.“ –, dort berichtet Johannes von der Fußwaschung. Was auf dasselbe hindeutet. Er wäscht die Füße der Jünger. Er verrichtet den Sklavendienst, den nur die niedrigsten Sklaven zu verrichten hatten. Und er sagt: „Wie ich getan habe. So sollt auch ihr tun.“ „Wir sind gewaschen im Blut des Lammes“, würde Johannes im letzten Buch der Bibel behaupten. Die Fußwaschung ist ein Hinweis auf Jesus, der reich war, aber zum Sklaven wurde, um nicht nur unsere Füße, sondern uns ganz von unseren Sünden zu reinigen, indem er für uns starb. 

Mel Gibson stellt in seinem Film „Die Passion Christi“ die Stelle prachtvoll dar, als der römische Hauptmann am Fuß des Kreuzes die Seite Jesu durchbohrt und auf wundersame Weise aus Jesu Seite Blut und Wasser wie aus einem Brunnen hervorquillt, das den staunenden und von Ehrfurcht ergriffenen Hauptmann durchnässt und ihn auf seinen Knien anbeten lässt. 

Dienst. Fußwaschung. Johannes berichtet über den Auftrag: „Ich habe euch ein Beispiel gegeben, so sollt auch ihr.“ In diesem Kontext spricht Jesus sein Liebesgebot aus. Es gibt drei Worte für die Liebe im Griechischen: Eros, die leidenschaftliche Liebe. Filia, die Freundesliebe. Agape, die Liebe der Hingabe. Im Liebesgebot spricht Jesus das Agape-Gebot aus. Und später, in seinen Briefen, würde Johannes sagen: „Wer sagt, dass er in ihm bleibt, muss auch einen Lebenswandel führen, wie er ihn geführt hat.“ (1 Joh 2,6)

Zugehörigkeit zu Christus heißt Teilnahme an seinem Leben der Hingabe und des Dienstes. Das ist zutiefst die Berufung des Menschen. Nur darin findet er seine Größe und seine Würde. Nichts weniger stellt ihn zufrieden. Im Zentrum Johannes Paul II. in Wien sprechen wir vom Dienst als eine unserer vier „Core Values“, zusammen mit Befähigung, Engagement und Offenheit. Der Dienst ist so zentral in der christlichen Identität, dass man ohne ihn nicht vom christlichen Leben sprechen kann.

Vor einigen Wochen durfte ich eine Predigt über eine Denkweise halten, mit der die anfängliche Kirche schon in Zeiten des Neuen Testaments sehr zu kämpfen hatte, dem sogenannten Gnostizismus. Nach der Messe sprach ich dann mit jemanden, der dem widersprach, was ich 20 Minuten lang zu erklären versuchte. Mich überraschte nicht, dass er eine andere Meinung vertritt, sondern dass er gar nicht merkte, dass er eine andere Meinung vertritt. Das aber war genau mein Punkt gewesen. Diese Denkweise kann so Fuß fassen, dass man sich zwar christlich nennt, aber gnostisch denkt, ohne das überhaupt zu bemerken. 

Meine These in Bezug auf den Dienst ist genau die: Wir sind umwoben und durchgebeutelt und umzingelt von einer Ideologie des Selbsterschaffens und der Selbsterlösung: Du bist im Zentrum. Das Leben geht um dich. Finde dich selbst. Glaub an dich. Lebe dein Leben. Und liebe Mitchristen, dieser Gedanke kann uns erfassen und beseelen. Wir können jede Woche in die Messe gehen und eine Kleingruppe besuchen und sogar hier und da einen Dienst verrichten und der Caritas spenden und drei Stunden im Monat bei den Mutter Teresa-Schwestern Kartoffeln schälen. Und all das, ohne zu realisieren, worum es eigentlich geht. „Ich bin nicht gekommen, um mir dienen zu lassen, sondern um zu dienen und mein Leben hinzugeben.“ Wir können sogar uns in den Dienst stellen, weil wir uns selbstverwirklichen wollen.

Es geht um eine Grundeinstellung zum Leben. Wofür lebe ich? Was ist meine Lebensvision? Der Christ lebt, um zu dienen. Vielleicht sollten wir das noch mal wiederholen. Der Christ lebt, um zu dienen.
Gott – siehe, ich bin die Magd des Herrn (würde Maria sagen).
Dem Nächsten (wer sagt, dass er in ihm ist, muss auch so leben wie er).
Der Christ lebt, um zu dienen. Diese Aussage mag radikal klingen, besonders in einer Zeit, in der das eigene Wohlbefinden und die persönliche Selbstverwirklichung so stark im Mittelpunkt stehen. Jesus Christus zeigt uns jedoch einen anderen Weg. Und ja, wir müssen auch lernen, uns selbst zu lieben, wie Gott uns liebt. Und doch. Der Christ lebt, um zu dienen. „Das würde ich nicht für eine Million Dollar machen.“ „Ich auch nicht.“ Liebe Mitchristen, viele von uns bedürfen in diesem Punkt einer echten Bekehrung. Und das meine ich in einem zweifachen Sinn.

Da ist zuerst einmal die grundlegende Bekehrung, ohne die eine solche Aussage über den Dienst überhaupt keinen Sinn hat. Und damit meine ich die grundlegende Bekehrung zu Jesus Christus selbst. Also, wenn du die Entscheidung noch nicht gefällt hast, Jesus Christus zum Mittelpunkt deines Lebens zu machen, dann hat die Aussage „Der Christ lebt, um zu dienen“ keinen Sinn. Dienst ist ein Bestandteil eines Lebens, das aus der Beziehung und der Nachfolge Jesu hervorgeht. Der Dienst ist eine natürliche Konsequenz der Anteilhabe an seinem Leben. Du hast hier also eine Freikarte. Wenn mich also dieser Gedanke sehr wurmt, muss ich mich als bekennender Christ also fragen, ob die Bekehrung zu Jesus Christus überhaupt schon stattgefunden hat oder ob sie erneuert werden sollte.

„Kehrt um und glaubt an das Evangelium“ (Mk 1,15): Das ist die Grundaufforderung, die Jesus zum Beginn seines öffentlichen Lebens stellt. Kehrt um! Es ist die Anerkennung, dass Gott uns wunderbar geschaffen hat, dass er einen herrlichen Plan für jeden einzelnen von uns hat, dass er uns vor Anbeginn der Welt (Eph 1) erwählt hat, um eine ewige Liebesgemeinschaft mit ihm zu leben, dass er uns über unsere kühnsten Träume und Sehnsüchte fast unendlich hinaus erfüllen will. Aber der Beziehungsbruch, der Missbrauch der Freiheit, den wir auch Sünde nennen, hat diese Beziehung zu Gott gebrochen. Aber er hat nicht nur unsere Beziehung zu Gott gebrochen, sondern schädigt unsere Beziehung zu unseren Mitmenschen. Durch seinen Tod aus Liebe stellt Jesus Christus diese Beziehung wieder her und ruft jeden von uns, ihn als unseren Erlöser und Herrn anzunehmen. Durch ihn haben wir neuen Zugang zu Gott, aber auch durch ihn werden wir befähigt, unseren Nächsten auf eine neue, tiefe und innige Art und Weise zu lieben. Seine Leidenschaft für die Mitmenschen wird uns immer mehr erfassen. Das setzt aber voraus, dass eine Entscheidung für den Herrn gefallen ist, sich von ihm lieben zu lassen. Die Bekehrung besteht nicht darin, ihm zu beweisen, wie sehr wir Ihn lieben. Es ist nicht eine Bekehrung zu einem Leistungsdenken. Im Gegenteil. Wo Leistungsdenken vorherrscht, herrscht auch die Gefahr des Helfersyndroms nach dem Motto: Ich muss etwas beweisen. Mir selbst oder anderen. Darum geht es dem Bekehrten aber nicht. 

Kern der Bekehrung ist, Jesus zum Mittelpunkt des eigenen Lebens zu machen. Nicht mehr als „add on“ oder „nice to have“ oder eine Priorität unter vielen. Er ist die Priorität schlechthin. Alles andere wird in Bezug zu ihm gesehen. Das Leben macht ohne ihn keinen Sinn. Und das heißt zuallererst, ein Nein zu Selbsterschaffung oder Selbsterlösung und ein JAWORT, seine Liebe zur Gänze anzunehmen, sich lieben zu lassen, diese seine unendliche Liebe zu bejahen. Mich von ihr erfüllen zu lassen. Kraft des Heiligen Geistes. Die Antwort des Dienstes ist Kraft seiner Liebe in mir. Ist Antwort, nicht Vorleistung.

àVielleicht ist daher die erste Konsequenz einfach zum ersten Mal oder erneut, diese Bekehrung zu Jesus durch ein bewusstes Ja zu erneuern. Vielleicht kann ein Gebet wie das des hl. Ignatius von Loyola helfen: „Nimm, Herr, und empfange meine ganze Freiheit, mein Gedächtnis, meinen Verstand und meinen ganzen Willen, alles, was ich habe und besitze. Du hast es mir gegeben; dir, Herr, gebe ich es zurück. Alles ist dein, verfüge nach deinem ganzen Willen. Gib mir nur deine Liebe und Gnade, denn die genügt mir. Amen.“

Auch wenn man von den patriotischen Zügen der Aussage absieht und darüber nachzudenken versucht, ob nicht eine ähnliche Frage innerhalb der Kirche oder Kirchengemeinde gefragt werden könnte, stößt der Satz des US-Präsidenten John F. Kennedy vor mehr als 60 Jahren bei modernen, individualistischen und selbstzentrierten Ohren auf Unverständnis: „Ask not what your country can do for you – ask what you can do for your country.“ Frage nicht, was dein Land für dich tun kann, frage, was du für dein Land tun kannst. 

Ich wollte noch von einer zweiten Bekehrung sprechen. Und die betrifft uns als Kirche. Auch uns als Kirchengemeinde in Wien. Die obige Aussage würde in einem urkirchlichen Kontext fast absurd erscheinen. Weil sie einfach vorausgesetzt wäre. Bruder und Schwester waren einfach der oder die, die mit mir um die sonntagliche Eucharistiefeier versammelt waren. „Wir sind alle einer in Christus“ (vgl. Gal 3,28), würde der frühchristliche Paulus in seinen Briefen in der Bibel erinnern. Denn wir essen alle einen Leib. Wir empfangen uns selbst als Leib Christi mindestens jeden Sonntag vom Herrn her. Der Bruderbegriff, wie er heutzutage oft gebraucht wird, also ohne die Grenze zu beachten, die es zwischen jenen, die draußen, also nicht Teil der Kirche sind und jenen, die Teil der Kirche sind, ist aufklärerisch und schwärmerisch, weil er nicht konkret realisierbar ist. Und dadurch wird er leer. Er hat keine Tiefe, nimmt mich nicht in Anspruch, verpflichtet mich nicht, fordert mich nicht zum Konkret-Werden der Liebe heraus.

Ich weiß mich meinem Bruder, meiner Schwester verpflichtet. Zugleich all jenen, die es nicht sind. Ich leide darunter, dass sie nicht Bruder und Schwester sind. Dass wir noch nicht alle einer in Christus sind. Deswegen ist Eucharistiefeier auch immer missionarischer Auftrag. Aber sie ist eben auch erst mal Verpflichtung zu einer konkreten Gruppe Menschen. Meinem Bruder und meiner Schwester gegenüber. Die mir vielleicht auf die Nerven gehen. Aber die ich nicht einfach abschütteln kann, wenn sie mir nicht passen. 

Benedikt XVI. äußert in einem Buch die Überzeugung, dass die Kirche erst dann wieder richtig an missionarischer Stoßkraft gewinnen werde, wenn wir neu lernen, füreinander Brüder und Schwestern zu sein. Und das heißt ganz konkret, wenn wir neu lernen, einander die Füße zu waschen. Füreinander da zu sein. Dass, wenn Menschen, die noch nicht Bruder und Schwester sind, hierherkommen, staunen und mit den Heiden Roms sagen würden: „Seht, wie sie einander lieben.“ Wenn sie so betroffen sind, wie eine nichtgläubige Teilnehmerin einer unserer Ministries hier im Zentrum vor Jahren einmal sagte: „Es liegt so viel Liebe in der Luft.“

Dienst braucht aber auch ganz konkret Zeit und Raum. Es bedarf einer Bekehrung aus einer Konsumhaltung heraus, die sagt: Was kannst du mir geben? Anstatt: Was kann ich hier zum Altar und in diese Gemeinde und zu diesen konkreten Menschen bringen? Was habe ich an Talenten und Begabungen, Zeit und Ressourcen, die ich für die Brüder und die Schwestern einbringen kann? Wie kann ich mich an dem beteiligen, was hier geschieht, um Verantwortung für einen Dienst zu übernehmen und nicht nur dann, wenn es mir gerade passt? … Aber nicht aus einem Leistungsdenken heraus, sondern weil wir von seiner Liebe erfüllt sind. Weil wir einer in ihm sind. Weil der andere wirklich mein Bruder in Christus ist. Meine Schwester in Christus ist. Oder sein könnte. Weil auch ich nicht gekommen bin, um mir dienen zu lassen, sondern um zu dienen und mein Leben hinzugeben für viele. Wo das geschieht, wird Kirche zu einem prophetischen Zeichen. Ein Vorsaal des Himmels. Ein Botschafter aus einer anderen Welt. Ein Brückenkopf des Himmelreichs.

Gottes Segen!

Euer P. George LC

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    In seinem neuesten Text fordert uns P. George Elsbett LC auf, Dienst neu zu denken – und was es heißt, authentisch Christ und Christin zu sein

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