Pater Thiemo Klein LC hat kürzlich am „International Theological Institute“ in Trumau bei Wien über „Pastoraltheologie im Werk Joseph Ratzingers/Benedikts XVI.? Grundlegungen und Entwicklungen“ promoviert. Das Thema birgt eine gewisse Spannung, zumal die Pastoral eine der großen und umstrittenen Fragen in der Katholischen Kirche ist. Und Benedikt XVI. wurde aktuell häufig kritisiert. Da mag es hilfreich sein, abseits aller Diskussionen und Emotionen einen vertieften Blick auf seine Gedanken und Schriften zur Pastoral zu werfen. Darüber sprach P. Thiemo im Interview für unsere Webseite mit Franz Schöffmann.
P. Thiemo, viereinhalb Jahre haben Sie in Wien nicht nur als Studentenseelsorger der Kath. Hochschulgemeinde und im „Zentrum Johannes Paul II.“ der Legionäre Christi gewirkt, sondern auch noch über Benedikt XVI. und seine Gedanken zur Pastoral eine Dissertation verfasst. Hat sich der Aufwand gelohnt?
P. Thiemo: Ja, ganz sicher hat er sich gelohnt. In Ratzingers Gedanken fand ich Inspiration für meine Arbeit und sogar geistliche Impulse für meinen priesterlichen Dienst. Er ist eine gute Quelle für tiefe und ermutigende Anregungen, sodass ich das Studium seiner gesammelten Schriften nur wärmstens empfehlen kann. Man muss kein Theologe sein, um von Ratzingers Werk zu profitieren. Die viereinhalb Jahre waren harte Arbeit, weil ich eben auch praktische pastorale Aufgaben hatte, aber es war auch sehr schön.
Was sind Benedikts bleibende Impulse für Ihr missionarisches Handeln? Wie setzen Sie das Erarbeitete um?
P. Thiemo: Die Frage verkürzt natürlich die prägende Kraft von Ratzingers Schriften auf ein paar Ideen. Das ist so, als ob man nach dem Besuch in einer beeindruckenden Kathedrale gefragt wird, was einem am besten gefallen hat. Das Gesamte zählt, weil Pastoral wie ein Kunstwerk wirkt und nicht wie ein Motor aus Einzelteilen. Ratzinger hat Grundsätze, die inspirieren und leiten. Er denkt theozentrisch. Pastoral muss bei Gott anfangen und bei Gott aufhören, also im Gebet verwurzelt sein und den Menschen eine persönliche Beziehung zu Gott ermöglichen. Wahrheit und Liebe müssen immer zusammen angeboten werden, denn Gott ist wahr und Gott ist die Liebe. Seine erste Enzyklika als Papst war dann ja auch „Deus Caritas est“. „Nur das Wahre kann letzten Endes auch pastoral sein“, schreibt er als Präfekt der Glaubenskongregation. Er weiß, dass der Glaube der Kirche einen Zugang zum lebendigen Jesus Christus, zu Gott selbst, bietet, deshalb muss dieser Glaube unverkürzt weitergegeben werden. Er stellt sich schützend vor die Gläubigen, damit der Zugang zum Glauben erhalten bleibt.
Als praktische Aufgabe der Theologie sieht er die Förderung von Glauben, Hoffnung und Liebe. Dabei schreibt er keine Sozialform der Kirche fest. Er ist kein Fundamentalist und auch nicht einfach konservativ. Er ist biblisch und sucht nach Orientierung an dem, was der Heilige Geist in der Kirche wirkt. Was soll man in der Pastoral tun? Gott lebt und Gott wirkt. Ratzinger hat das gesucht, was der Heilige Geist in der Kirche wirkt. Das hat er unterstützt. Deswegen war er auch ein Freund der Neuen Geistlichen Gemeinschaften und der Bewegungen wie des Regnum Christi. Aber er war durch sein Studium über Augustinus und besonders über Bonaventura klug genug zu wissen, dass man auch da wachsam sein muss. So hat er zum Beispiel das Regnum Christi erhalten, aber eine umfassende Reform unter einem kirchlichen Delegaten eingeleitet. Wahrheit und Liebe, das ist Pastoral.
Aber wie setzen Sie das um?
P. Thiemo: Die Predigten müssen sehr gut vorbereitet sein. Die Wahrheit des Glaubens will erklärt werden. Man muss praktisches Wissen anbieten, damit die Menschen das Christsein erlernen können. Zugleich muss es humorvoll und menschlich sein. Ich persönlich spreche viel über Gottes Barmherzigkeit. Ratzinger zufolge ist die Methode der Pastoral ganz offen – kirchliche Strukturen und Methoden sind wandelbar. Sie müssen der Mission angepasst werden. Nur müssen sie eben mit dem Glauben vereinbar sein.
Das richtige Maß zeigt sich darin, ob man die kirchliche Wurzel des Glaubens und die Herzen der Menschen gleichermaßen erreicht, um sie miteinander zu verbinden. Das bedeutet Spannungseinheit. Diese Spannung muss man erreichen und aushalten. Die Verbindung von Gott und Menschen im Glauben der Kirche ist meine Aufgabe. Nur wer Gott kennenlernt, versteht dann auch die Kirche. Ein genialer Satz von Ratzinger lautet: „Ein Apparat, der sich vor allem mit sich selbst beschäftigt, wird zu guter Letzt unnütz.“ Es geht um den Einsatz der eigenen Person als Brücke zwischen Gott und den Menschen.
Die Kirche ist kein Selbstzweck und das Regnum Christi ist es auch nicht. Jeder einzelne Christ hat eine Sendung als Bote und Brücke. Gott wirkt in der Welt und ich biete mich ihm an als Instrument. Ich bete „Herr, schick mir Menschen!“ und das funktioniert.
Kommt so eine Einstellung bei den Menschen gut an?
P. Thiemo: Ja, denn wenn wir Gott in den Vordergrund stellen, verstehen auch die Kirchgänger wieder, warum das gut ist, was sie tun. Und dann werden sie zu Zeugen, zu Aposteln. Zugleich gehe ich auf Menschen zu, die am Rande stehen. Das kommt auch gut an.
Es gibt Stimmen, die Benedikt XVI. die pastorale Kompetenz absprechen – zum Beispiel der Regisseur Christoph Röhl, dessen Ratzinger-Film „Verteidiger des Glaubens“ im Herbst in die Kinos kommt. Er meinte in einem Interview in „Die Zeit“: „Davon handelt mein Film: Was passiert, wenn jemand Glaubenssätze für absolut erklärt und dadurch die Wahrheit anderer Menschen verleugnet.“ Oder: „Was seinem Bild von Kirche widersprach, das blendete er aus und bekämpfte es. So hat er seine Kirche in die Krise getrieben.“ Wie stufen Sie diese Kritik ein?
P. Thiemo: Joseph Ratzinger verteidigt den Glauben der einfachen Christen, den Glauben der weltweiten, 2.000 Jahre alten Kirche, die von Jesus Christus auf den Glauben der Apostel gegründet wurde. Der Glaubensschatz der Kirche ist nicht verfügbar, auch nicht für Theologen. Weil er sich im Namen der machtlosen Gläubigen wehrt, wird er angegriffen. Ratzinger war schon immer ein mutiger Theologe, der Ärger in Kauf nahm. Sein priesterlicher Dienst ist der Dienst an der Wahrheit. In dem Interview mit „Die Zeit“ macht sich Regisseur Röhl zum Sprachrohr der Diktatur des Relativismus. Dieses System setzt spätmoderne Überzeugungen absolut: Heterogenes ist gleichrangig und die Mitte ist offen zu halten, wie es der Pastoraltheologe Christian Bauer feststellt. Daraus folgt: Wer an einem absolutem Wahrheitsanspruch festhält, der ist übergriffig gegen die anderen, egal wieviel Nächstenliebe er zeigt. Also wird Ratzinger als negativ dargestellt.
Seine Verdienste für den Glauben der Kirche bleiben, aber man stellt die Tatsache, dass der Glaube überhaupt verteidigt wird, als schlecht dar. Damit geht man dann an die Öffentlichkeit, um die Gläubigen zu überzeugen, dass der Glaube es gar nicht wert sei, verteidigt zu werden. Die Message ist: „Sei ein angepasster Christ! Es ist besser, ein relativistischer Christ zu sein!“ Systemkonforme Christen dürfen in jeder Diktatur leben.
Sind das nicht zu harte Worte?
P. Thiemo: Der Ausdruck „Diktatur des Relativismus“ stammt von Joseph Ratzinger. Ein anderes Mal spricht er als Kardinal von einer „neuen Inquisition“, die seine Äußerungen verdamme. Er fordert auch etliche Male zum Mut auf, zum Mut zum Widerspruch. Die Kirche ist seiner Meinung nach oft zu angepasst. Er will Entweltlichung, also Mut zum Wesentlichen, nämlich zur Wahrheit, die Jesus Christus ist. Von Ratzinger stammt auch das Wort: „Verwaltungsapparate tendieren dazu, auf jeden Fall Ärger zu vermeiden.“ Wie viel Verwaltung es gibt und wie viel Mut, das ist die Frage. Wahrheit und Liebe – das ist unsere Herausforderung. Im Übrigen sieht er dazu jeden Christen berufen, nicht nur die geweihten Amtsträger. Dazu gebe es die Kirche, sagt er: für die Mission!
Literaturhinweise
Die Doktorarbeit von P. Thiemo Klein ist in der Öst. Nationalbibliothek einsehbar.
P. Thiemo Klein LC: „Neuevangelisierung bei Papst Benedikt XVI. – 100 päpstliche Texte für die Zukunft der Kirche“; ISBN: 978-3-902694-59-1, Heiligenkreuz 2015, 242 Seiten, erschienen im Be&Be-Verlag
Papst Benedikt XVI. leitete die Kirche als Nachfolger des heiligen Johannes Paul II. seit 2005. Das letzte Jahr seines Pontifikates rief er als „Jahr des Glaubens“ aus. Ein genauerer Blick zeigt, wie sehr das Wirken und Lehren von Benedikt XVI. vom Thema der Neuevangelisierung geprägt war. Im Buch sind die 100 wichtigsten Dokumente aus der Amtszeit des emeritierten Papstes zusammengestellt. Sie geben bleibende Impulse zu einer missionarischen Haltung.
Papst Franziskus kam bereits in seinen ersten Worten als Papst, als er sich auf der Loggia des Petersdoms der Weltöffentlichkeit vorstellte, auf die Evangelisierung zu sprechen. Seine Predigten, Handlungen und Gesten setzen fort, was sein Vorgänger über die Neuevangelisierung lehrte.