Die Politik und der Christ

P. George Elsbett LC nimmt die Wahlen in Österreich zum Anlass, um, im Spannungsfeld von Religion und Politik, christliche Grundsätze in Erinnerung zu rufen und zu erläutern.

In Sachsen, Thüringen und Brandenburg wurden zuletzt die Landtage in Deutschland gewählt, Österreich wählt heuer den Nationalrat. Die teils hochemotionalen Diskussionen darüber und die gegensätzlichen Standpunkte sind für Pater George Elsbett LC, Leiter des Zentrums Johannes Paul II. in Wien, Anlass, um, im Spannungsfeld von Religion und Politik, christliche Grundsätze in Erinnerung zu rufen und zu erläutern. Lesen Sie hier!

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In Österreich stehen wieder mal Wahlen vor der Tür. Aber fangen wir von vorne an. Karl Marx meinte, Religion sei Opium für das Volk; sie schläfere uns ein, lasse uns die Strukturen der Macht und Unterdrückung einfach hinnehmen; lasse uns erblinden und erlahmen, an unserem eigentlichen Auftrag und unserer Bestimmung, aus diesen Strukturen auszubrechen bzw. diese zu zerstören. Ein typisch neognostisches Phänomen.

Die gängige Religion, die das Christentum in der westlichen Welt ersetzt hat, ist in ihrer Grundausrichtung neognostisch. Das ist das Thema unserer gegenwärtigen Predigtserie „Neue Götter, alte Fragen“ im Zentrum Johannes Paul II..

Wie schon damals ist die Gnosis unserer Tage kein fest geschmiedeter Glaube, sondern eher eine Sammlung unterschiedlicher Denkrichtungen, die aber ein Grundnarrativ teilen, das religiöser Art ist, dogmatisch verfochten und nicht hinterfragt wird – auch wenn es sich als wissenschaftlich und kritisch gibt. Und weil genau die religiös-dogmatische Grundstruktur verneint wird, fehlt die kritische Auseinandersetzung mit sich selbst, um vor einem gewissen Fanatismus oder einer ideologischen Schwere bewahrt zu bleiben.

Die alte Gnosis, also die zum Beispiel über 20 gnostischen Sekten, die der hl. Irenäus von Lyon im 2. Jahrhundert in seinen Büchern „Adversus Haereses“ katalogisierte, sah in der materiellen Welt die Ursache allen Übels. Aus ihr müssten wir ausbrechen. Nach dem Motto: Leib schlecht, Geist gut. Der Neognostiker unserer Zeit würde nicht die materielle Welt als Grundproblem sehen, sehr wohl aber die Beschaffenheit der Welt und die unterschiedlichen Machtstrukturen – seien sie soziologisch, politisch, wirtschaftlich oder psychisch. Die gilt es zu zerstören. Die Schieflage der Welt hat definitiv nichts mit mir zu tun, mit meiner Beteiligung am Schuldzustand der Welt.

Die Gnosis von damals und heute ist im Kern eine Verneinung von Sünde und Schuld. Sie sieht keine intrinsische Grenze im Menschen selbst, der einem immerwährenden Fortschritt im Weg steht. Sie setzt voraus, dass der Fortschritt, den wir im Bereich der Technik sehen, selbstverständlich auch in der Moral, in der Politik, in der Soziologie usw. stattfinden wird. Die Gnosis ist ferner atheistisch in ihrem Kern, weil sie eine Religion der Selbsterlösung ist und – in christlicher Tarnung – den Himmel zwar nicht immer verneint, aber ihre gesamte Kraft auf das Diesseits richtet. Ich und wir lösen ALLE Probleme der Menschheit und sogar, wie es der Traum in manchen Formen des Transhumanismus ist, das „Problem“ der Sterblichkeit. Deswegen hat sie auch stark utopische Tendenzen.

Die Gnosis kann sehr wohl den christlichen Glauben untergraben, sich sogar in christlichem Vokabular und äußeren Erscheinungsformen tarnen. Christen unserer Zeit. Wir sind alle geprägt von der Welt, in der wir leben, die eben nicht mehr christlich, sondern gnostisch denkt.

Wir können zum Beispiel einfach annehmen, dass es uns im Grunde immer besser gehen sollte. Und wir sind schockiert, entmutigt und frustriert, wenn das nicht geschieht. Wir können eine Erwartungshaltung an uns selbst, an unsere Kinder oder Familie haben, die utopisch ist – und völlig aufgelöst sein, weil wir fünf Minuten nach unserer letzten Beichte wieder genau dasselbe gemacht haben.

Und im Bereich der Politik kann der von der Gnosis infizierte Christ in ihr das Allheilmittel sehen. Wie das Msgr. James P. Shea in „The Religion of the Day“ darstellt, ist das eine notwendige Konsequenz der Gnosis, da gemäß ihr das Heil ja genau in der Umwandlung von äußeren Machstrukturen bestehe. Politik ist dann „nicht mehr eine sekundäre (wenn auch nicht unwichtige) Arena menschlichen Schaffens, ein Platz, wo Kompromisse oft notwendig sein werden, um das Gemeinwohl und sozialen Eintracht zu wahren“ (Shea). Politik wird dann eher zum eigentlichen Schauplatz des religiösen Ringens, es ist DAS Mittel, um die Strukturen mit Unterdrückung unter Kontrolle zu bekommen und eine bessere Welt zu schaffen.

Der Christ hingegen engagiert sich sehr wohl für eine soziale Verbesserung unserer Welt und für politische Anliegen. Der Christ wird um eine Gesellschaft, wo Gerechtigkeit und Liebe herrscht, ringen. Aber das, wie Msgr. Shea erinnert, was die Christen nicht tun werden oder tun sollten, ist, „ihre Hoffnung darauf zu setzen, die Welt allein durch menschliche Mittel zu reparieren“ oder die Welt, wie sie beschaffen ist, durch ein „besser funktionierendes Modell zu ersetzen“. Der Christ wird sich davor hüten. Er sollte wissen, dass moralischer Fortschritt auch sehr schnell Rückschritt werden kann (siehe zum Beispiel im letzten Jahrhundert).

Der Christ weiß, dass die Politik nicht an die Wurzel menschlichen Übels herankommen kann, dass die Quellen des Heils für diese Übel in ganz andere Sphären zu suchen sind und dass die Politik uns im Letzten weder den Niedergang noch das Heil verschaffen wird. Er ist sich bewusst, dass „das letzte Schicksal der sichtbaren Welt von viel höheren, unsichtbaren Wirklichkeiten abhängig ist.“

Wenn Religion von Politik durchsäuert wird, ist sie toxisch. „Marx meinte, Religion sei das Opium für das Volk, ich sage, Politik ist Heroin für die Religion“ (Fulton Sheen). Ein Beispiel aus den USA: Die frühe Kirche hatte zum Beispiel eine große Klarheit um vier Themen herum:

1. Keine Abtreibung, keine Euthanasie.
2. Sex gehört in eine Beziehung zwischen Mann und Frau innerhalb der Ehe.
3. Gleichheit aller Menschen, egal welcher Rasse oder ob Mann oder Frau.
4. Die präferenzielle Entscheidung für die Sorge um die Armen und Ausgegrenzten.

Die ersten beiden Themen hören sich sehr „Republican“ an. Die anderen beiden schmecken sehr nach „Democrats“. Und das wird dann in den Kirchengemeinden echt zum Problem, wenn sich Mitglieder entlang politischer Präferenzen spalten lassen anstatt zu wissen, dass sie zuerst Christen und Bruder und Schwester sind und erst danach einer politischen Partei zugehörig. Wenn sie das Evangelium von ihren politischen Präferenzen durchdringen lassen anstatt ihre politische Präferenzen vom Evangelium.

Als Gemeindeleiter werde ich immer sehr nervös reagieren, wenn auf unseren Medienkanälen eine politische Veranstaltung beworben wird oder der Eindruck entstehen würde, die Zentrumsgemeinde habe eine Nähe zu der einen oder anderen Partei.

Ich hoffe doch sehr, dass es unter uns auch Menschen gibt und geben wird, die sich politisch engagieren und sich für das Gemeinwohl einsetzen. Als wichtiges Zeichen christlicher Laien, die um ihre Verantwortung für die Welt wissen und ihrem Ruf, die weltlichen Dinge mit dem Geist des Evangeliums zu durchdringen. Zugleich hoffe ich, dass wir als Gemeinde verstehen, dass Politik, so wichtig sie auch sein mag, nicht der primäre Schauplatz des religiösen Ringens ist, dass unsere Ziele als Gemeinde überhaupt nicht politisch sind und nicht sein wollen, dass es gut ist, dass das Heil, nach dem wir ringen und uns sehnen, nicht von der Politik zu erhoffen ist, dass der Herr es ist, der uns rettet, heilt und erlöst und dass der größte Impakt und die wahren Wendungen der Geschichte von den Heiligen zu erwarten sind und eingeführt werden, egal, ob jemand ein Straßenfeger oder Bundeskanzler ist.

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