Sei der Held deiner Geschichte!

Sind wir im eigenen Leben „Hauptdarsteller“ oder „Zahnrad“? Was haben altüberlieferte Mythen, Kinoblockbuster, Identitätsfragen und der Sinn des Lebens gemein? Antworten darauf sucht Nils Schäfer LC in der Menschheitsgeschichte, dem Leben Jesu und der gegenwärtigen Jugendkultur.

Wir alle lieben Geschichten. Egal ob in Filmen, Büchern oder Liedern, unsere Kultur ist voll von Erzählungen, die uns begeistern. Diese Begeisterung zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Menschheitsgeschichte, angefangen von den ersten Mythen über Menschen, Götter und Helden bis hin zu den neuesten Marvel Blockbustern. Starautor Yuval Noah Harari schreibt in seinem Bestseller „Homo Sapiens- Eine kurze Geschichte der Menschheit“ sogar, dass die Fähigkeit Geschichten zu erzählen, das ist, was uns grundlegend von Tieren unterscheidet. Es ist die Erinnerung der Vergangenheit und die Erwartung der Zukunft, durch die wir nicht nur Geschichten generell, sondern auch unser eigenes Leben als Geschichte verstehen können.

Zwei grundsätzlich unterschiedliche Sichtweisen

Doch genau diese Fähigkeit, unser eigenes Leben als Geschichte zu verstehen, ist uns im Laufe der letzten Jahrhunderte abhandengekommen, behauptet der kanadische klinische Psychologe Jordan Peterson. Laut ihm gibt es zwei Linsen, durch die wir auf die Welt schauen können. Man kann die Welt als ein reines Zusammenspiel von Materie und Bewegung ohne tiefere Bedeutung betrachten. Es ist die Weltsicht der Naturwissenschaft. Zeit verstreicht, während sich das Universum nach genauen Gesetzen verändert.

In den tausenden Jahren vor unserer Neuzeit, beherrschte allerdings eine andere Auffassung die Menschheit. Die Welt wurde als eine Bühne gesehen, auf der wir Menschen die Hauptdarsteller sind. Es ging weniger darum, wie die Bühnentechnik im Detail funktioniert, sondern mehr um die Frage, von was das Theaterstück denn handelt, beziehungsweise was meine Rolle auf der Bühne ist. Im Laufe der Moderne wurden wir jedoch zu Schauspielern, die sowohl den Text als auch die Handlung vergessen haben. Die Sinnlosigkeit unseres eigenen Lebens machte sich in der Gesellschaft breit.

Geschichte, Identität und Sinn

Es ist schwer zu verneinen, dass unsere Generation, die Millenials, diese Sinnkrise hart getroffen hat. Anstatt Identität finden wir in unserer Vergangenheit Verunsicherung und Wunden. Die Zukunft lässt uns nicht mehr erwarten, sondern beängstigt und lähmt uns. Was ist das Heilmittel?

Laut Peterson müssen wir zurückblicken und unsere Leben neu als die Bühne unserer ganz persönlichen Geschichte entdecken. All die Erzählungen der verschiedenen Traditionen wollten uns nicht einfach nur unterhalten. Sie hatten einen tieferen Sinn. Sie wollten uns lehren, wovon die Geschichte unseres Lebens handelt. Sie sind wie die Skripte, die uns von unseren Vorfahren überliefert wurden, um uns Orientierung in dem Chaos der Welt zu geben.

Die Geschichten, die unsere Kultur prägen und geprägt haben, können uns helfen, die Bedeutung der Vergangenheit und die Richtung für unsere Zukunft zu entdecken. Denn genau darin können wir an der Weisheit teilhaben, die andere Menschen auf ihrer Suche nach Sinn in ihrem Leben entdeckt haben.

Nicht nur für Kinder

Wie bedeutend Geschichten für das Verständnis unseres eigenen Lebens sind, lässt sich zweifelsfrei an Kindern sehen. Seit frühsten Jahren an, wollen sie die Helden ihrer Lieblingsgeschichten imitieren. Sie wollen Spiderman, Pocahontas oder Luke Skywalker sein. Sie verkleiden sich wie ihre Vorbilder, sprechen wie sie und handeln wie sie. Es ist, als wäre die Geschichte ihrer Helden, ihre ganz eigene Geschichte. Die Sehnsucht ein Held zu sein, ist tief in unser menschliches Herz hineingelegt und auch wenn wir uns als Erwachsene nur noch zu Karneval verkleiden, berühren uns Filme, Bücher und Geschichten immer noch zutiefst. Den Sinn unseres eigenen Lebens zu finden, bedeutet zuerst einmal sich selbst wieder als den Helden seiner Geschichte wiederzuentdecken.

Erstaunlicherweise ähneln sich all die Heldengeschichten auf fundamentale Weise. Angefangen von Herkules und der Odyssee, über die Göttliche Komödie bis hin zum Herrn der Ringe, den Hungerspielen oder Harry Potter, weisen alle diese Heldengeschichten die gleiche Grundstruktur auf. In seinem Buch „The Heroe with a Thousand Faces“ beschreibt John Campbell, nachdem er unzählige mythologische Erzählungen analysiert hat, wie sie alle die Geschichte eines archetypischen Helden erzählen. Er wird aus seinem vertrauten Vaterland gerufen, muss sich dem Unbekannten stellen und dort den Drachen, den er am meisten fürchtet, bezwingen. Auf seiner Reise leidet er, doch genau dadurch wird er verwandelt und kann als neuer Mensch in seine Heimat zurückkehren. Wir werden nicht müde diese Geschichte der Reise des Helden immer und immer wieder aufs Neue zu hören und zu erzählen, denn sie bildet das Rückgrat für die Geschichten, die wir alle lieben. Es scheint fast, als sei der archetypische Held seit Urzeit in die Seele der Menschheit geschrieben.

Jesus Christus als der Held

Jordan Peterson schließt hier einen weiteren interessanten Gedanken an. Obwohl er selbst kein Christ im traditionellen Sinne ist, sieht er in Jesus Christus die Personifizierung dieses archetypischen Helden für die westliche Welt. Er verließ seine Heimat beim Vater, stellte sich dem ultimativen Drachen, Satan selbst, litt und erstand von den Toten, um die gesamte Schöpfung gemeinsam mit sich zurück in seine Heimat zu führen. Das Paradoxe an der Person von Jesus ist jedoch, dass man ihn nicht wie alle anderen Helden im Reich der Mythen belassen kann. Dafür ist seine historische Existenz zu gut belegt. An diesem Punkt gesteht Peterson ein, die Grenze seines Verständnisses erreicht zu haben. Bischof Robert Barron geht jedoch einen bedeutenden Schritt weiter. In Christus würden wir sehen, wie es aussieht, wenn ein Archetyp Fleisch annimmt. So gesehen ist Christus die Inkarnation unserer Sehnsucht nach der ultimativen Reise des Helden.

Das Christentum an sich ist schließlich weder philosophisches System noch Ethikkonstrukt, sondern zuerst einmal eine Geschichte. Es ist die Geschichte zwischen Menschen und Gott, angefangen von den mythischen Erzählungen der ersten Menschen über die historische Vergangenheit Israels bis zum Höhepunkt in Jesus Christus, der sein Kommen am Ende der Zeit voraussagt. Es lädt ein, nicht nur Lehren zu befolgen, sondern letztlich Christus in uns leben zu lassen, seine Reise des Helden in unserem Leben neu Wirklichkeit werden zu lassen. Unsere Begeisterung für Heldengeschichten zeigt, wie unsere menschliche Natur auf die Person und das Leben Jesu zugeschnitten sind. Die Protagonisten unserer Blockbuster sind also auf gewisse Weise Abbilder von Christus, die uns einladen, unsere Geschichte im größeren Kontext Seiner Geschichte zu verstehen. Schauen wir uns einmal ein paar Beispiele an, die genau diese Dynamik verdeutlichen und uns helfen können, den Sinn unserer Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wiederzuentdecken.

Identität, Verheißung und Mission

In dem bildgewaltigen Wüstenspektakel „Dune“, welches 2021 auf die Leinwände kam, findet sich Paul Atreides, der Sohn einer Adelsfamilie, auf einem verlassenen Sandplaneten in einer verzweifelten Situation wieder. Seine gesamte Heimat wurde durch einen Hinterhalt vernichtet. Das Einzige, was er aus dem Verrat retten konnte, ist der Ring seines Vaters, Zeichen für die Verheißung, dass er der Thronfolger ist. In seiner Vergangenheit liegt die Verheißung, die ihm nicht nur seine Identität, sondern auch die Mission für seine Zukunft gibt. Die gleiche Dynamik findet sich in unzähligen Heldengeschichten wieder. Spidermans Identität und Mission liegen im Biss der Spinne und Harry Potter wird, als er noch ein Baby war, durch das Opfer seiner Mutter im Angesicht Voldemorts zum Messias der Zauberwelt. Unsere Vergangenheit dringt so in unsere Gegenwart ein, denn dort entdecken wir Identität, Verheißung und Mission. Kurz gesagt, jeder von uns hat in seinem Leben einen Ring wie Paul Atreides an die Hand bekommen.

In dieser Dynamik finden wir auch das Abbild aus dem Leben Jesus wieder, was wir in unserem eigenen Leben Wirklichkeit werden lassen könne. Während Christus im Jordan getauft wird, öffnet sich der Himmel und auch er empfängt seine Identität und Verheißung als geliebter Sohn des Vaters. Diese Identität begleitet und stärkt ihn in seiner Zeit in der Wüste, welche direkt auf die Taufe folgt. Sie ist die Säule auf dem sein gesamtes Leben steht und gibt ihm die Richtung für seine Mission. Genauso wie Christus und Paul Atreides entdecken auch wir aus einer christlichen Perspektive, dass unsere Identität, Berufung und Verheißung in der Vergangenheit liegen. In der Taufe empfangen wir unseren Ring der Verheißung.  Wir bekommen sowohl Christus Identität als geliebtes Kind Gottes als auch unsere persönliche Berufung geschenkt. Wir werden zu Erben im Exil, die gerufen sind, in das Vaterland Gottes zurückzukehren. In der Vergangenheit liegt also der Ruf, unsere persönliche Reise des Helden zu beginnen. Die dort empfangene Identität erhellt unsere Gegenwart und die Verheißung lässt uns die Zukunft erwarten. Dies ist nur ein Beispiel, wie sich das Narrativ des Christentums in unserer Kultur wieder gespiegelt und uns hilft, unser Leben als Bühne und als eine Geschichte im größeren Kontext der Geschichte schlechthin zu begreifen.

„Sich immer wieder für ein höheres Gut in der Zukunft entscheiden“

Ein weiteres Beispiel kann uns helfen, die Bedeutung unserer Zukunft in der Reise des Helden zu entdecken.

Allein steht er vor der Küste, in seinem Inneren zerrissen. Schon viele Prüfungen musste Aeneas [bekannte Person sowohl in der griechischen als auch der römischen Mythologie, gilt als Stammvater der Römer] bestehen, immer begleitet von der Verheißung ein neues Reich zu gründen. Doch dieses Opfer scheint auch ihm zu groß. In Dido entdeckte er Liebe, Hingabe und die Heimat, nach der er sich auf seiner Reise so lange sehnte. Doch jetzt soll er dies alles aufgeben, weil die Götter ihn zu einer größeren Mission rufen? Das Opfer, Dido zurückzulassen, wurde letztlich zum Grundstein, auf dem das römische Imperium aufbauen sollte. Auch hier kann man ein Muster erkennen, was sich durch alle Geschichten zieht.

Der Held muss etwas in der Gegenwart aufgeben, um etwas noch Besseres in der Zukunft zu erhalten. Harry Potter muss sich seinem Tod stellen, um Voldemort zu besiegen und die Welt von ihm zu befreien, und Dante muss seinen geliebten Führer Vergil zurücklassen, um ins Paradies aufzusteigen. Die Reise des Helden beinhaltet immer die Entscheidung in der Gegenwart ein Opfer zu bringen, um etwas noch Wertvolleres in der Zukunft zu erhalten. So können wir auf bestimmte Weise das Kommende schon in der Gegenwart bestimmen. Jedoch besteht auch immer die Versuchung unsere Zukunft für den Genuss der Gegenwart zu verkaufen und so diese Dynamik ins Negative umzuwandeln.

Auch das Motiv des Opfers lässt sich auf vollkommene Weise in Christus finden. Er bringt das ultimative Opfer. Er opfert sein eigenes Leben, um das höchste Gut zu erlangen, was man sich vorstellen kann: Die Erlösung der gesamten Welt. Die Erhabenheit dieses kosmischen Opfers spiegelt sich auf hunderte verschiedene Weisen in unserer Kultur wieder. So viele Helden in Mythen, Filmen und der menschlichen Realität geben ihr Leben, um eines größeren Wertes willens.

Das Christentum ist durchdrungen von der Einladung sein persönliches Kreuz auf sich zu nehmen, was bedeutet sich immer wieder für ein höheres Gut in der Zukunft zu entscheiden, auch wenn dies einen Verzicht in der Gegenwart beinhaltet. Genau hierdurch empfängt unsere Gegenwart den Sinn, den wir so oft in unserem Leben vermissen. Schließlich schlägt uns unserer Kultur vor, den gegenwärtigen Moment zu genießen, ohne an die Konsequenzen in der Zukunft zu denken. Doch jeder weiß, dass uns die stundenlange Ablenkung auf YouTube nur leer und sinnlos hinterlässt, während uns das Opfer eines Workouts, zum Beispiel, mit Sinn und Freude füllt. Im ersten Beispiel verkaufen wir die Zukunft für die Gegenwart, im letzten bringen wir ein Opfer für etwas Besseres in der Zukunft. Die Reise des Helden führt eindeutig über den zweiten Weg.

Keine Angst vor der Zukunft

Ein Grund, warum wir also Geschichten so sehr lieben, ist, weil wir unser eigenes Leben als Geschichte verstehen können. Uns selbst als den Helden unserer eigenen Geschichte zu begreifen, ist ein Heilmittel, um die Angst vor der Zukunft in Erwartung und die Erlebnisse der Vergangenheit in Quellen der Identität zu verwandeln. Dabei sind die Erinnerung an die identitätsstiftenden Momente der Vergangenheit und die Opferbereitschaft, um etwas Besseres in der Zukunft zu erlangen, zentrale Bestandteile.

Das Christentum geht sogar noch einen Schritt weiter. Unser Leben ist wirklich und real diese Reise zurück zum Heimatland des Vaters. Durch das Nachahmen von Christus, dem ultimativen Helden, schreiten wir auf diesem Weg voran. Dieser größere Kontext füllt die Gegenwart mit Sinn und lässt uns unsere persönliche Rolle auf der Bühne der Weltgeschichte einnehmen.

Bruder Nils Schäfer LC

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Zur Person

Nils Schäfer LC (25) stammt aus dem Sauerland und trat 2015 in die Ordensgemeinschaft der Legionäre Christi ein. Nach der ersten Profess 2017 absolvierte er Humanistische Studien in den USA und ein Studium der Philosophie in Rom. Auf seinem Weg zum Priestertum erneuerte Bruder Nils am 24. Juli 2022 seine Gelübde für weitere vier Jahre.

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