Während viele Bürger zu Helden an den Fronten des Gesundheitssystems wurden, Experten aus Medizin und Wirtschaft unter größter Anstrengung Vorschläge erarbeiteten und Politiker vor den schwersten Entscheidungen ihrer Amtszeit standen, gehöre ich in Rom zu denen, die seit vier Monaten das Grundstück nicht mehr verlassen haben. Meinen Doktorvater freut das, denn so kann ich mich endlich meiner Arbeit über Romano Guardinis Anthropologie widmen.
Sicher ist es diesem Fokus geschuldet, dass ich mir statt der ökonomischen und soziologischen Betrachtungen vor allem die Frage stelle, was die gegenwärtige Krise für den Menschen selbst bedeuten mag. Konfrontiert uns die Pandemie doch mit dem, was wir im Alltag gerne ausklammern: mit unserer Verwundbarkeit, Sterblichkeit, Endlichkeit. Gesellschaftlich müssen wir v. a. unser „System“ solidarisch und pragmatisch anpassen. Aber persönlich stehen sicher viele vor der Herausforderung, die Erkenntnis der eigenen Endlichkeit in ihr Selbstbild zu integrieren. Eine solche Krise muss mich zu Guardinis Gedanken führen:
„Am Wort ‚Krise‘ ist großer Verbrauch. […] Nur muß man das Wort in seinem vollen Sinn nehmen. Dann meint es nämlich ein Doppeltes: Einmal, daß die Dinge nicht mehr stimmen, der Zustand auf ein Unheil zugeht. Andererseits aber auch, daß darin schon lang wirkende Fehler ans Licht treten; sie also erkannt werden können und mit der Überwindung begonnen werden kann.“ (Ethik, 1041)