Seit 2008 verspüren einige Gottgeweihte Frauen im Regnum Christi einen möglichen Ruf, das Charisma in einer kontemplativen Lebensweise zu leben. 2020 begrüßte die Generalversammlung der Gottgeweihten Frauen einen entsprechenden Antrag und beauftragte die neue Generalleitung damit, „die Unterscheidung eines kontemplativen Zweiges innerhalb des Regnum Christi wiederaufzunehmen, unter Einbeziehung jener Frauen, die dieses Anliegen weiterhin zum Ausdruck bringen“, und die Schlussfolgerungen bei der nächsten Generalversammlung im Jahr 2026 vorzustellen.
Nancy Nohrden (Generaldirektorin) lud die Frauen, die an diesem Unterscheidungsprozess interessiert waren, ein, sich gemeinsam auf den Weg zu machen und erste Ideen auszutauschen. Es wurde eine Arbeitsgruppe gebildet, die vorschlug, zwei Erfahrungen des kontemplativen Lebens zu machen, um Gebet, Reflexion und gemeinsame Unterscheidung zu fördern. Die erste Erfahrung fand im Sommer 2022 in Rignano/Florenz (Italien) statt. Dreizehn gottgeweihte Frauen nahmen an einer gemeinschaftlichen Unterscheidung teil, in einem Klima des Gebets, der Ausbildung über das kontemplative Leben in der Kirche und des Zusammenlebens und des Austauschs unter den Teilnehmerinnen über ihr Verständnis dieser Lebensweise.
Die zweite Erfahrung, die zwei Jahre dauern wird, beginnt am 19. September 2023. Es werden daran nur Gottgeweihte Frauen des Regnum Christi teilnehmen, die von Beginn an bei dem Prozess der Unterscheidung dabei waren. Mit der Erlaubnis des Bischofs von Zamora (Mexiko) hat Nancy die Gemeinschaft „Domus Marie de Santa María de la Montaña“ in Cotija de la Paz (Michoacán, Mexiko) errichtet.
Eine der gottgeweihten Frauen ist Johanna von Siemens (aus München). Im Interview mit Karl-Olaf Bergmann spricht sie darüber, was dieser Weg der Unterscheidung für sie und das Regnum Christi bedeutet.
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Johanna, Du startest am 19. September, mit einer Gruppe von Mitschwestern, einen Weg der Unterscheidung, ob Ihr eine kontemplative Teilgemeinschaft im Regnum Christi gründen werdet. Der Weg wird zwei Jahre dauern. Das ist sicherlich eine sehr außergewöhnliche Entwicklung im Regnum Christi. Wann und wie hat der Weg begonnen? Wie bist Du dazu gekommen?
Johanna: Das Ganze hat bei mir vor 13 Jahren angefangen, beim Erneuerungskurs 2010, als ich während der Schweigeexerzitien in meinem Herzen plötzlich einen ganz starken Ruf gespürt habe. Dabei war ich gerade mit Jesus am Hadern, dass ich zu wenig Apostolat hätte und eigentlich mehr apostolisch aktiv sein wollte.
Ich arbeitete damals im Heiligen Land. Plötzlich spürte ich diese innere Stimme, die zu mir gesagt hat: Das Regnum Christi braucht mehr kontemplative Seelen, mehr kontemplative Menschen. Das hat bei mir wahnsinnig eingeschlagen und alles auf den Kopf gestellt, weil ich eben gerade dachte, ich möchte mehr machen. Damit musste ich mich erstmal auseinandersetzen: Was bedeutet das, was möchte der Herr mir damit sagen? Ich habe dabei innerlich ganz großen Frieden gespürt und auch empfunden, dass es mehr ist, als eben nur ein bisschen mehr beten oder so. Aber ich wusste nicht genau, was es bedeutet.
Später, in den nächsten Wochen, erfuhr ich, dass es noch andere gibt, die auch so etwas gespürt haben. Das ist spannend, denn ungefähr zur gleichen Zeit, ein oder zwei Jahre vorher und danach, haben verschiedene gottgeweihten Frauen, auf der ganzen Welt verstreut, persönlich so einen inneren Ruf verspürt, ohne voneinander zu wissen. Einige begannen sich dann zu vernetzen.
Während der Apostolischen Visitation (2010 – 2011) rief Erzbischof Ricardo Blázquez das erste Mal einige dieser gottgeweihten Frauen zusammen. Zu dieser Gruppe gehörte ich nicht. Ich hatte für mich das Gefühl, nicht in eine Gründer-Gruppe zu gehören. Der Ruf, den ich empfunden hatte, war sehr damit einhergegangen, in der Zurückgezogenheit zu leben, im Verborgenen, und auf keinen Fall im Rampenlicht zu stehen. Diese erste Gruppe traf sich ungefähr zwei Monate lang, u.a. in Valencia und Madrid, und ich stand mit ihnen im Kontakt.
Aber zu dieser Zeit befand sich unsere Gemeinschaft mitten in der Gründer-Krise und im Erneuerungsprozess, nach dem Bekanntwerden der Wahrheit über das Leben von P. Marcial. Weshalb der ganze Prozess erst einmal auf Eis gelegt wurde. Der Pater, der uns jetzt auf dem Weg der Unterscheidung begleitet, ein Jesuit, sagte uns, es entspräche auch einem klassischen jesuitischen Grundsatz, in Zeiten der Trostlosigkeit keine großen Entscheidungen zu treffen. Vielleicht befanden sich damals nicht alle gleichermaßen in einer Art Trostlosigkeit, aber unsere Gemeinschaft im Allgemeinen wohl schon. Insofern denke ich auch im Rückblick, dass das noch nicht der rechte Augenblick dafür gewesen war.
Bei der letzten Generalversammlung der Gottgeweihten Frauen (2020) haben wir uns wieder an die Generalleitung gewandt und gefragt, ob das Thema wieder auf den Tisch kommen und ein wirklicher Weg der Unterscheidung begonnen werden könnte. Die Generalversammlung nahm das Anliegen schließlich auf und beauftragte dann die neu gewählte Generalleitung damit, diesen Unterscheidungsprozess anzustoßen.
Also mitten in der größten Krise, die unsere Gemeinschaft durchlief, hatten Du und andere Mitschwestern, unabhängig von einander, das innere Empfinden, noch stärker zu einem kontemplativen Leben im Regnum Christi berufen zu sein. Wie hast Du die Krise damals erlebt und durchlebt? Wie viel innere Unruhe hat Sie in Dir persönlich ausgelöst?
Johanna: Ich muss ehrlich sagen, dass diese Krise bei mir persönlich nur ein paar Tage andauerte. Sie hat mich einmal richtig durchgeschüttelt und dann habe ich einen großen inneren Frieden und Ruhe empfunden. Die Krise hat für mich vor allem eine große Erleichterung bedeutet, weil wir ja so einen wahnsinnigen Druck von Perfektionismus, Ansprüchen und Erwartungen, Heiligkeit und so weiter auf uns hatten. Als ich sah, wie die Gründerfigur zerbröselte, dachte ich mir: Jesus, wenn du selbst mit so jemanden etwas schaffen konntest, dann kannst du vielleicht auch mit mir etwas machen. Das hat mir viel Frieden und Ruhe gebracht. Außerdem arbeitete ich zu der Zeit im Heiligen Land und war deshalb so ein bisschen ab vom Schuss. Das Thema des kontemplativen Lebens blieb weiter in mir lebendig.
Bereits in der Vergangenheit gehörte das Kontemplativsein zur Selbstbeschreibung des Regnum Christi. Selbst während des Revisionsprozesses der Statuten (2014 – 2018) stand das nicht zur Disposition. So steht auch in den neuen Statuten: „Wir sind kontemplativ und evangelisierend“ (Nr. 20). Um was geht es Euch also? Was ist neu an Eurer Idee, was ist anders als bisher? War das zu wenig? Warum braucht das Regnum Christi so sehr das Kontemplative?
Johanna: Erstens müssen wir da wohl den Herrn fragen, denn es ist seine Initiative. Es ist auch keine Art Sozialkritik am Regnum Christi, als würde die Gemeinschaft das falsch machen und wir machen das deshalb anders. Für die, die jetzt dabei sind, ist es die Sehnsucht, einem Ruf des Herrn zu folgen.
Ein Bild, das mir einmal dazu kam und das mich sehr berührt hat, ist jenes von einem Baum, der Wurzeln hat, die aber noch tiefer gehen müssen. Das Regnum Christi wächst, es hat schon Wurzeln des Kontemplativen und Evangelisierenden, aber diese Wurzeln müssen noch tiefer gehen. Das ist, glaube ich, genau die Aufgabe.
Jeder von uns im Regnum Christi betet, jedes Mitglied ist dazu eingeladen, sein Apostolat im Gebet zu verwurzeln, und nur daraus kann überhaupt Frucht entstehen, aber diese Wurzeln sollen noch tiefer gehen. Gerade wenn Stürme kommen, braucht ein Baum tiefe Wurzeln. Wenn Trockenheit kommt, braucht er tiefe Wurzeln. Das heißt für mich, es ist wie eine Einladung des Herrn, dass ein paar von uns, noch tiefer ins Verborgene gehen sollen, bis man wirklich zu diesen Quellen, zum Grundwasser, kommt und dann, von dort die Versorgung für den ganzen Baum sichert. Es geht also um einen Dienst am ganzen Regnum Christi, um eine „Wasserversorgung“ aus dem „Verborgenen“. Das halte ich für den entscheidenden Akzent.
In der Geschichte der Kirche und auch der des Regnum Christi war das Verständnis vom Gebet, als eines Gesprächs mit einem Freund, mit dem wir oft und gern allein zusammenkommen, um mit ihm zu reden, weil er uns liebt (vgl. Teresa von Ávila), nicht immer klar. Von der hl. Teresa von Ávila z.B. ist bekannt, dass sie besonders das „innere Gebet“ in ihrer Gemeinschaft zur Entfaltung brachte. Würdest Du sagen, dass Eure Gruppe im Regnum Christi, gemäß dem Charisma, eine besondere Ausprägung des Gebets entwickeln könnte? Wird sich Euer Gebetsleben vom Rest des Regnum Christi unterscheiden?
Johanna: Was wir sehr stark spüren, ist eine Einladung, unser Charisma und unsere Spiritualität zu vertiefen, und auch auf eine besondere Weise zu schützen. Es gibt auch eine gewisse Hoffnung, da vielleicht etwas auf besondere Weise entdecken zu dürfen. Wir können noch gar nicht sagen, was da herauskommen wird. Wir lassen uns jetzt vor allem auf ein Abenteuer mit Gott ein und werden sehen, was er möchte und was Gott aus alldem heraus selbst entwickelt und uns gibt.
Ich habe nicht gespürt, dass es um einen besonderen Gebetsstil ginge. Ich glaube eher, dass wir mit dem anfangen, wie wir jetzt schon als Gottgeweihte unser Gebet leben.
Was heißt, kontemplativ zu leben?
Johanna: Auf Deutsch bedeutet das Wort ja erstmal betrachtend, in der Betrachtung zu sein. Ich glaube, wir spüren eine Einladung zu einem verborgenen Leben mit Christus in Gott (hl. Paulus, Kol 3,3). Der Herr spricht uns an, im Herzen Jesus verborgen zu sein. Mir hilft dabei sehr das Bild von Jesus in Nazareth bzw. der Heiligen Familie in Nazareth. Das bedeutet auch ein ganz einfaches Leben, „ora et labora“, ein Leben der manuellen Arbeit – Handarbeit, Gartenarbeit, künstlerische Arbeit – und der Zeit fürs Gebet.
Das Spannende ist, dass uns in der Gruppe alle ein wahnsinniger missionarischer Eifer und eine Sehnsucht verbindet, dass Jesus in die Herzen der Menschen kommen mag, von allen Menschen! Dass das Reich Gottes auf der ganzen Welt, in den Herzen aller Menschen aufblühen soll, dass die Menschen Gott kennenlernen können. Überall wo wir hinschauen, gibt es doch eine so große Not Gott kennenzulernen und auf der anderen Seite eine große Verblendung.
Ich spüre auch ganz deutlich mit meinem direkten Apostolat, das heißt mit meinen Vorträgen, meinen Krankenbesuchen u.ä., dass ich in meinen Möglichkeiten so wahnsinnig begrenzt bin. Vielleicht kann ich 50 Menschen erreichen, vielleicht 100 ansprechen oder, wenn es hochkommt, 300, aber dass wirklich etwas passiert, dass die Herzen berührt werden, das können nicht wir und das können nicht unsere Worte, sondern das kann nur Gott tun.
Wenn Gott wollte, dass sein Sohn Mensch wird, dass Jesus 30 Jahre im Verborgenen verbrachte und nur drei Jahre heilte und predigte, dann sieht man, dass er durch alle 33 Jahre die Menschheit erlöst hat. Die Zeit im Verborgenen war also keine verlorene Zeit, gerade auf diesen Jahren lag der Akzent. Es waren diese 30 Jahre, die die drei anderen Jahre fruchtbar gemacht haben.
Unser sich Zurückziehen in das verborgene, versteckte Leben mit Christus in Gott, ist deshalb vielleicht wie ein Nährboden für das ganze apostolische Wirken des Regnum Christi. So als würde Jesus dann selbst rausgehen zu den Menschen.
Johanna, Euer Weg ist auf zwei Jahr angelegt. Ein Jahr später, 2026, findet die nächste Generalversammlung der gottgeweihten Frauen statt, sie wird über Eure Erfahrungen beraten und dann entscheiden, wie es weitergeht. Auf welche Entscheidung hoffst Du? Wie könnte es für Dich danach weitergehen?
Johanna: Wenn wir „grünes Licht“ bekommen und wir dieses Leben so weiterleben dürfen, dann geht dieses Abenteuer mit Gott weiter. Dann dürfen wir vor allem diesen Lebensstil, den wir dann hoffentlich schon ein bisschen angefangen haben zu finden, weiterleben. Und vielleicht können sich uns dann auch noch welche anschließen, die jetzt in diesem Prozess ein bisschen außen vor geblieben sind, oder für die es noch nicht die richtige Zeit war. Dann muss auch noch entschieden werden, an welchem Ort.
Wenn jedoch entschieden würde, „Nein, es geht nicht weiter!“, dann, denke ich, würden wir auch gemeinsam erkannt haben, dass der Geist Gottes nicht dabei war. Wenn z.B. viel Unfriede unter uns bestünde, dann war es nicht vom Herrn oder nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Für jede Einzelne von uns würde wieder ein ganz normaler Prozess der Unterscheidung beginnen, welche Aufgaben wir daraufhin in der Gemeinschaft übernehmen.
Vielen Menschen fällt es schwer zu beten, viele suchen Hilfe im Gebet oder Mitbeter. Werdet Ihr in diesen zwei Jahren Gebetsanliegen annehmen? Wie erreicht man Euch?
Johanna: Ja, gerne. Dafür sind wir ja da. Wir behalten auf jeden Fall alle unsere E-Mail-Adressen. Wer möchte kann mir direkt schreiben (jvsiemens@regnumchristi.net). Wir freuen uns über Gebetsanliegen, das ist auch eine konkrete Art und Weise, wie wir diese Hingabe leben wollen, indem wir in den Anliegen der Menschen beten.
Danke für das interessante Gespräch! In zwei Jahren werden wir hier wahrscheinlich fortsetzen.
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Zur Person: Johanna Siemens legte 1998 ihre ersten Gelübde bei den Gottgeweihten Frauen im Regnum Christi ab; Ewige Gelübde am 8. September 2000 in Madrid; Studium in Spanien und Mexiko; Schulseelsorge in Guadalajara (Mexiko); Kinder-, Jugend- und Familienarbeit in Texas (Dallas, Houston, Austin und San Antonio, USA); zwei Jahre war sie in Österreich tätig, danach 13 Jahre im Heiligen Land; seit Sommer 2022 lebt und arbeitet sie im ApostelHaus in Ratingen. Johanna hat einen Bachelor in Theologie und einen Lizenziats-Abschluss in Bibel-Wissenschaften und Archäologie am „Biblicum Franciscanum“. 2022 war sie Gastdozentin an der Päpstlichen Hochschule Regina Apostolorum „Einführung in die Heilige Schrift“.