Was eine Krise ist, wissen wir wahrscheinlich immer erst dann, wenn wir schon mittendrin sind. Plötzlich steht alles auf der Kippe. Die Minuten rasen. Alles ist in Bewegung. Es scheint zu spät, anders als gedacht und noch viel schlimmer. Bleibt noch Zeit? Wir wollen nach vorn ausbrechen und der Situation entfliehen, und zugleich zurückstürzen und in Vergangenes eingreifen. Und dann läuft die Zeit weiter und mit ihr ein innerer Kampf in uns zwischen Verzweiflung und Mut, zwischen Furcht und Hoffnung. Ergebnis? Offen!
Unverständnis, Trauer, Verärgerung, Zweifel – Anfang 2009 kamen diese Emotionen fast zeitgleich in mir hoch. Ich hatte erfahren, dass der 2008 verstorbene Gründer der Legionäre Christi und des Regnum Christi ein schwerwiegend unmoralisches Doppelleben geführt hatte. Seitdem frage ich mich bis heute fast täglich: Wie kann Erneuerung in der Kirche gelingen? Auf was kommt es an? Und was hat das mit meinem eigenen Leben zu tun?
Errettung
„Gott hat uns gerettet – nicht, weil wir Werke vollbracht hätten, die uns gerecht machen können, sondern aufgrund seines Erbarmens – durch das Bad der Wiedergeburt und der Erneuerung im Heiligen Geist“, schreibt der Apostel Paulus (Titusbrief 3,5). Im Moment der „Zuspitzung“ und „Entscheidung“ (Wortbedeutungen von altgriechisch krísis) können diese Worte Trost und Halt schenken. Sie erinnern uns an eine Grundwahrheit unseres Daseins: Dass wir alle schon errettet sind durch Leben, Leiden, Tod und Auferstehung Christi – dass wir diese Errettung aber immer wieder für uns persönlich annehmen müssen, jeder einzelne Mensch – bis zur vollständigen Erneuerung im Heiligen Geist.
Erneuerung
Krisen sind die Zeit der Wahrheit und Erneuerung, weil sie zu Entscheidungen führen. Die erste Entscheidung scheint mir die zu sein, die Krise anzunehmen, als einzelner und als Gemeinschaft, damit sie fruchtbar werden kann, „denn aus einer Krise kommt man nur in Gemeinschaft heraus, und außerdem müssen wir uns klarmachen, dass man aus der Krise als ein besserer oder als ein schlechterer Mensch hervorkommt, aber niemals unverändert“ (Brief von Papst Franziskus an Kardinal Marx, vom 10. Juni 2021).
Es kann der Vertrauensverlust sein, den Menschen erlitten, Enttäuschungen oder persönliche Verletzungen, das Erschrecken, der Schock oder Schmerz, der sie einer Gemeinschaft entfremdet, von ihr wegtreibt, an ihr verzweifeln oder mit ihr brechen lässt.
Mich führte diese Krise – wie viele andere – dazu, anpacken zu wollen. Erneuerung muss real gestaltet und umgesetzt werden. Unter der Asche glaubte ich an eine Glut, ein Feuer, das nicht Menschen-, sondern Gotteswerk war und das es zu bergen galt: „Entfache die Gnade Gottes wieder, die dir […] zuteilgeworden ist!“ (2 Tim 1,6).
Unterscheidung
Aber was ist nun Gnade und was nicht? Was Geschenk (Charisma) und was nicht? Was der Wille Gottes und was nicht? Was führt näher zum ihm und was entfernt? Der hl. Ignatius von Loyola spricht von der „Unterscheidung der Geister“. Gemeint ist ein innerer Klärungsprozess, der aus meiner persönlichen Vertrautheit mit Gott heraus meine inneren und äußeren Bewegungen und Antriebe überprüft, um letztendlich den Weg zu finden, den ich vor Gott und zu ihm gehen soll. Das ist ein Moment tiefer Wahrheit, weil unser Herz geprüft wird: „Die eigenen Kategorien und Denkweisen werden erschüttert, deine Prioritäten und dein Lebensstil werden herausgefordert“ (Papst Franziskus, in „Wage zu träumen! Mit Zuversicht aus der Krise“, 2020). Erneuerung im Heiligen Geist ist also im Kern Gottesbegegnung und lebt elementar aus der Eucharistie und dem Gebet.
Kreative Treue
Sehr unterschiedliche Menschen, aus verschiedenen Ländern und Kulturen, waren seit 2009 mit dem Regnum Christi auf diesem Weg – für mich eine unbeschreibliche Erfahrung der Lebendigkeit und Dynamik in der Kirche. Ich lernte bei der gemeinsamen Erarbeitung der neuen Statuten (2014 – 2018) die Stärken und Schwächen von Menschen kennen und die Spannungen, die bei der individuellen Art der Verarbeitung einer Krise auftreten. Wandel verursacht zudem Ängste ob der Geschwindigkeit und Ziele desselben. Die Entscheidung des Einzelnen für die Gemeinschaft und die Entscheidung der Gemeinschaft für den Einzelnen gehören deshalb zusammen. Sie bilden schließlich den Maßstab der Kommunikation.
Was wird aus der Vergangenheit? Und wie die Zukunft? Wie sieht sie aus? „Die Vergangenheit gehört uns nicht mehr, von der Zukunft wissen wir noch nicht, ob es unsere sein wird. Hier und jetzt ist die kreative Treue gefragt“, sagte uns Kurienerzbischof José Rodríguez Carballo OFM zu Beginn der Generalversammlungen des Regnum Christi (11. April 2018). „Das Charisma ist etwas Aktuelles, Wanderndes, denn sonst könnte es nicht auf die Zeichen der Zeit reagieren.“ Oder mit den Worten von Papst Franziskus: „Jesus lebt, hier und jetzt. Er begleitet dich jeden Tag“ (Osternacht 2021).
Mit der endgültigen Anerkennung der neuen Statuten der Regnum Christi-Föderation durch den Heiligen Stuhl (bekanntgemacht am 5. Februar 2025) geht die lange Etappe des Erneuerungsprozesses als geistliche Familie zu Ende. Als Weg der permanenten inneren Erneuerung im Heiligen Geist führt er weiter, im Dienst an Gott, der Kirche und der Menschen, in die Zukunft.
Mein Fazit: Krisen entscheiden sich in der kreativen Treue zu Jesus Christus, der uns sagt: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben.“ (Joh 14,6) – im Hier und Jetzt. „Fürchtet euch nicht!“ (Lk 2,10).