Mittwoch,
8. Juni 2022
Braucht das noch einer?
Mittwoch der zehnten Woche im Jahreskreis
Beate Scheilen
Mt 5,17-19
In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern: Denkt nicht, ich sei gekommen, um das
Gesetz und die Propheten aufzuheben. Ich bin nicht gekommen, um aufzuheben, sondern um zu erfüllen. Amen,
das sage ich euch: Bis Himmel und Erde vergehen, wird auch nicht der kleinste Buchstabe des Gesetzes
vergehen, bevor nicht alles geschehen ist. Wer auch nur eines von den kleinsten Geboten aufhebt und die
Menschen entsprechend lehrt, der wird im Himmelreich der Kleinste sein. Wer sie aber hält und halten lehrt,
der wird groß sein im Himmelreich.
Einführendes Gebet: Jesus, ich möchte jetzt von dir lernen. Lass mich erkennen, dass es im Glauben nicht darum geht, viele Vorschriften zu befolgen– aber die Gebote der Kirche auch nicht geringzuschätzen.
Bitte: Hilf mir, Jesus, immer wieder bewusst zu beten und nicht Texte "herunterzuplappern".
1. Ein gängiges Missverständnis. "Jesus war der entschiedenste Gegner organisierter Religion", lesen wir immer wieder in populär-theologischen Büchern. "Er eliminierte die über 600 Vorschriften der Thora und ließ nur noch die Liebe gelten". – Wenn es denn mal so einfach wäre! Außerdem entspricht diese These, wie wir gleich sehen werden, nicht dem Evangelium. Offenbar haben auch damals schon einige Menschen gedacht, Jesus sei gekommen, um alle (lästigen) Vorschriften abzuschaffen, nach dem Motto "Das braucht keiner mehr, das kann weg!" Nichts dergleichen hatte er vor.
2. Die Macht der Gewohnheit. Jesus geht es darum zu zeigen, wie die Geheimnisse des alttestamentlichen Kultes auf seine Person ausgerichtet sind und in ihm ihre ganze Erfüllung finden – in einem für die Zuhörer durchaus gewöhnungsbedürftigen Maß! Was auch noch heute gilt. Schauen wir mal bei uns selber nach, inwieweit rein Äußerliches uns zu bestimmen vermag: Gehe ich zur Messe aus reiner Gewohnheit "wie man sich morgens die Zähne putzt"? Bete ich den Rosenkranz einfach so herunter und stelle nebenbei meine Einkaufsliste zusammen? Soll meine Tochter nicht mit ihrem Freund in Urlaub fahren, "weil sich das nicht gehört"? Auch für uns gilt immer wieder Mt 5,17: Nicht aufheben, sondern (mit Sinn) erfüllen!
3. Drei Holzwege. Form ohne Inhalt, Vorschriften ohne Erklärung… das führt entweder zu religiös-formalem Perfektionismus oder dazu, dass man das Ganze drangibt, weil man keinen Sinn darin sieht. Die massive Auswanderung der Gläubigen aus der Kirche, die wir hier seit den 60er Jahren erleben, könnte wohl u.a. darin begründet sein. Wohl auch aus echter Sorge um den Fortbestand der Kirche ist in den letzten Jahren eine dritte Richtung aufgetreten. Ihr Konzept: Den Inhalt neu interpretieren und als Folge davon die Form der "Lebenswirklichkeit" anpassen. Leider steht auch davon nichts im Evangelium…
Gespräch mit Christus: Jesus, du bist wohl in kaum einem Punkt so missverstanden worden wie hier. Bitte hilf mir, noch tiefer zu verstehen, was dein Herzensanliegen in Bezug auf "das Gesetz" ist. Ist es dies: Sowohl durch das Gesetz als auch durch die Barmherzigkeit willst du uns Menschen aufrichten?
Vorsatz: Kleiner Selbsttest: Welcher Typ bin ich? Frommer Pedant oder Laissez-faire-Katholik? Dann versuche ich mal zu verstehen, was der anderen Seite an Leuten wie mir nicht gefällt. Und wo ich meine Haltung ändern könnte…, im Gespräch mit Christus.