Mittwoch,
15. Oktober 2008
Eine helfende Hand
Mittwoch der achtundzwanzigsten Woche im Jahreskreis
Heilige Theresa von Avila, Ordensfrau, Kirchenlehrerin
P. Daniel Ray LC
Lk 11,42-46
Doch weh euch Pharisäern! Ihr gebt den Zehnten von Minze, Gewürzkraut und allem Gemüse, die Gerechtigkeit
aber und die Liebe zu Gott vergesst ihr. Man muss das eine tun, ohne das andere zu unterlassen. Weh euch
Pharisäern! Ihr wollt in den Synagogen den vordersten Sitz haben und auf den Straßen und Plätzen von allen
gegrüßt werden. Weh euch: Ihr seid wie Gräber, die man nicht mehr sieht; die Leute gehen darüber, ohne es zu
merken. Darauf erwiderte ihm ein Gesetzeslehrer: Meister, damit beleidigst du auch uns. Er antwortete: Weh
auch euch Gesetzeslehrern! Ihr ladet den Menschen Lasten auf, die sie kaum tragen können, selbst aber rührt
ihr keinen Finger dafür.
Einführendes Gebet: Herr, ich glaube, dass du gegenwärtig bist, wenn ich mich im Gebet an dich wende. Mit Zuversicht vertraue ich darauf, dass du mir heute jede Gnade, die ich brauche, zuteil werden lässt. Ich danke dir für deine Liebe und für deine unermessliche Großzügigkeit mir gegenüber. Als Gegenleistung gebe ich dir mein Leben und meine Liebe.
Bitte: Herr, ich möchte mein Herz so sehen, wie du es siehst.
1. In die gleiche Falle geraten. Erkennen wir uns wieder, wenn wir Jesus an dieser Stelle des Evangeliums anfeuern? „Herr, zeig es ihnen! Sie verdienen es! Wir stellen uns vor, selbst dabei zu sein ‐ unsere Arme fest verschränkt, den Kopf schüttelnd in Missbilligung ach so heuchlerischer Pharisäer. Bald lenken wir unsere Gedanken auf jemanden, den wir kennen, der „ebenfalls einige saftige verbale Prügel erhalten sollte”. Auch ein Priester oder ein Bischof könnten Zielperson unseres gedachten Tadels sein. Wenn wir so denken, haben wir Christus ganz aus den Augen verloren, und wir sind diejenigen, die sagen, was richtig ist. Und schon sind wir genau in die Fußstapfen der Pharisäer geraten, die wir so verurteilen: unsere Herzen sind verbittert und verdorrt. Obgleich wir verurteilen können wie der Herr, lieben wir nicht wie der Herr. Wir vergessen, dass Christus sein Leben für diese Pharisäer hingeben würde, die er zur Umkehr aufruft ‐ selbst wenn sie die einzigen wären, die gerettet werden müssten. Wir sind wie die Gesetzeslehrer geworden, die viel kritisieren, aber kein Gebet um Hilfe anbieten wollen. Mit dem Finger auf andere zu zeigen ist leicht, aber eine Aufforderung zur Umkehr kann nur von einem Herzen kommen, das liebt.
2. Die „missmutige katholische Zunft”. Gibt es jemanden, der nicht wenigstens etwas in seiner Gemeinde oder Diözese finden kann, was nicht in Ordnung ist? Solange die Kirche aus Menschen besteht, wird es immer etwas zu verbessern geben. Diese Schwierigkeiten zu sehen, dafür zu beten und zu helfen, dass sie behoben werden, ist eine Sache. Eine andere ist es, an der Kritik hängen zu bleiben. Genau das ist es, was die Anhänger der „missmutigen katholischen Zunft” tun. Sie könnten in der florierendsten Diözese eines Landes oder in der voller Leidenschaft engagierten Gemeinde sein, sie haben doch nur Negatives zu sagen. Diese Stelle des Evangeliums ist die einzige Linse, durch die sie alles sehen. In ihrem Rosenkranz beten die Anhänger der „missmutigen katholischen Zunft” die „rachsüchtigen Geheimnisse”: Jesus verflucht den Feigenbaum, Jesus säubert den Tempel, Jesus verurteilt die Schriftgelehrten und Pharisäer, Jesus trennt die Schafe von den Böcken und schickt die Böcke „du weißt wohin”. Bin ich vielleicht ein anonymes Mitglied ‐ oder gar ein Befürworter ‐ der „missmutigen katholischen Zunft”? Christus gebrauchte deutliche Worte, aber sie waren nur Frucht einer starken Liebe, die sich die Erlösung der Schriftgelehrten und Pharisäer wünschte, und keine hochgradige Verbitterung gegen sie. Wenn mein Herz verbittert ist, muss ich Christus um die Gnade der Vergebung bitten, um zu vergeben, wie Christus vergibt.
3. Eine helfende Hand. Unser Herr will uns zur Fülle des Lebens führen. Er wusste, wie man Seelen nach und nach oder zügig gewinnt, wie sie eben hierzu imstande waren. Die Art und Weise, wie er mit der samaritischen Frau umgegangen war, ist beispielhaft (vgl. Joh 4,5-29).Er überhäufte sie nicht mit Schmähungen; vielmehr brachte er sie sanft dazu, ihre eigene Sehnsucht nach der Güte und Liebe Gottes zu erkennen. Ebenso hat Christus die Frau behandelt, die beim Ehebruch ertappt wurde (vgl. Joh 8,3-11). Aus Liebe vergab er ihr und ließ sie gehen. Bei den Gesetzeslehrern am Ende dieses Evangeliums trifft das Gegenteil zu. Sie wollten Einschränkungen, schwer zu tragende Verantwortung und große Opfer den Menschen aufladen, aber nicht die helfende Hand reichen, um sie beim Tragen der Last zu unterstützen. Als Christen sind wir aufgerufen zu helfen, das Gewissen der Menschen um uns herum zu erleuchten, damit sie eine engere Beziehung zu Gott finden können. Falls diese „Erleuchtung des Gewissens” nur eine beschönigende Umschreibung für „Vorwürfe” ist, müssen wir uns besinnen und uns fragen, ob das Wort Christi uns nicht ebenfalls trifft: „Ihr ladet den Menschen Lasten auf, die sie kaum tragen können, selbst aber rührt ihr keinen Finger dafür”.
Gespräch mit Christus: Herr Jesus, hin und wieder schaue ich auf mein Herz und stelle fest, dass es hart und verbittert ist. Bei der ersten Gelegenheit verfällt es in Selbstgerechtigkeit, um jemand anderen zu verurteilen, aber nur, um mich dadurch meiner eigenen moralischen Überlegenheit zu vergewissern. Schenke mir ein Herz, das demütig und bescheiden ist wie dein Herz.
Vorsatz: Wenn ich mich dabei ertappe, dass ich heute abfällig über jemanden denke, will ich für ihn beten und nach zwei guten Eigenschaften bei ihm suchen.